Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
Schlangendämon.
»Und wie gedenkst du, diese Hälfte zu gestalten?«, wollte Toth wissen.
»Beeindruckend, überaus beeindruckend. Fantasievoll mit Angst und Schrecken, wie es sich für einen Herrscher der Finsternis gebührt.«
»Und wenn wir ablehnen?«, frage Toth mit ruhiger Stimme.
»Wir haben Ra und mit ihm die Gewalt über die Sonne. Wenn ihr uns nicht die Hälfte gebt, dann behalten wir das Ganze. Die immerwährende Nacht ohne Tag.«
Wieder kam Unruhe im Saal auf. Gerade die niederen Götter begannen untereinander zu flüstern und zu tuscheln. Eine Handbewegung von Toth brachte sie zum Schweigen.
»Du glaubst also, uns erpressen zu können?«
»So könnte man es ausdrücken, Vogelkopf.« Apophis gewann mehr und mehr Oberwasser.
Toth zeigte sich ob der Beleidigung unbeeindruckt und fuhr in sachlichem Ton fort: »Apophis, wir wissen, dass du als Dämon schrecklich sein musst, das ist deine Natur, gottgewollt sozusagen. Deshalb wäre der Oberste Rat der Obersten Götter bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen und von einer Bestrafung abzusehen. Wir fordern dich daher zum letzten und einzigen Mal auf, versetze Ra in seinen normalen Zustand zurück und beende dieses widerliche Schauspiel!«
»Und wenn nicht?«, fragte Apophis hämisch.
»Dann müssten wir gewisse Maßnahmen ergreifen.«
»Welche Maßnahmen?«
»Du wirst es früh genug merken. Also, wie entscheidet ihr euch? Gebt ihr auf und geht in Frieden aus dieser Halle, oder beharrt ihr auf euren Forderungen?«
Toths Selbstsicherheit verunsicherte Apophis. Er blickte jedem seiner Gefährten ins Gesicht. Ihm war klar, dass diese sich dem Druck der Obersten Götter sofort beugen würden. Höchstwahrscheinlich bereuten sie schon jetzt ihre Unterstützung für ihn.
»Was könnt ihr mir schon anhaben, solange Ra in meiner Gewalt ist?«
Apophis spielte jetzt auf Zeit. Irgendetwas war hier im Gange, und er wusste nicht, was.
»Gibst du auf oder nicht?«, fragte Toth lauernd. »Ja oder nein? Kein Handeln mehr und auch keine Ausflüchte.«
Bei den letzten Worten Toths bewegten sich die sieben Skorpione der Isis, die bisher unter dem Richtertisch lagen, auf Apophis zu, die Stachel zum Angriff erhoben. Die sieben Skorpione namens Befen, Mesetet, Mesetetef, Matet, Petet, Tefen und Tjetet traten äußerst selten in Erscheinung. Eigentlich verabscheute Isis Gewalt, doch wenn sie sich nicht vermeiden ließ, setzte sie ihre Skorpione ein.
»Glaubt ihr, ein paar Skorpione können mich, Apophis, erschrecken?«
»Skorpione vielleicht nicht, aber vielleicht ein Rudel Seth-Tiere?« Die Stimme hinter Apophis klang eiskalt und mächtig. Die Temperatur im Saal fiel schlagartig um einige Grad.
Vorsichtig wandte Apophis den Kopf. Seine Gefährten Mahes, Meresger und Nehebkau waren verschwunden. Dafür stand Seth hinter ihm, umgeben von wohl zwei Dutzend Seth-Tieren.
»Hat es dir die Sprache verschlagen, Schlangenkopf?«
Seths Stimme klang wie Eis.
»Ich fürchte dich nicht, du Untoter der Wüste. Solange sich Ra in meiner Gewalt befindet, könnt ihr mir nichts anhaben«, sagte Apophis, aber in erster Linie wollte er sich selbst beruhigen.
»So, so. Und wo ist Ra?« Seth neigte bei dieser Frage leicht den Kopf. »Siehst du ihn irgendwo? Hast du ihn vielleicht verschluckt?«
Besorgt suchten Apophis’ Augen nach seinen Gefährten und Ra. Wo, bei allen Dämonen der Nacht, steckten sie nur? Waren sie vielleicht übergelaufen?
»Sieht so aus, als hättest du soeben deinen Trumpf verloren«, stellte Seth fest.
»Es nützt euch nichts, auch wenn ihr ihn habt. Nur ich kann ihn aus seiner Starre befreien.«
Apophis wusste, dies war sein letzter Versuch.
»Was meinst du, was von einem großen Schlangendämon übrig bleibt, wenn meine Seth-Tiere mit ihm fertig sind? Ein paar Nilwürmer? Einige Aas-Maden? Staubmilben? Oder gar nichts?«
»Wenn ihr mich tötet, bleibt es auf immer Nacht!«
»Oder es wird doch wieder Tag, und die Nächte werden schöner als je zuvor«, sagte eine Stimme von rechts. Der falkenköpfige Ra trat aus der Reihe der niederen Götter und breitete seine Hände aus. Neben ihm stand Nehebkau, der Herrscher der Zeit, und blickte schulterzuckend und verlegen zu Apophis: »Tut mir Leid, ich konnte nicht anders. Die Seth-Tiere knabberten schon an meinem Leib.«
Apophis brach innerlich zusammen. Dann raffte er sich auf: »Gut, wie war euer Angebot? Ich gebe auf, und wir vergessen die ganze Sache. Einverstanden?«
Die Götter am Richtertisch
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