Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
unter ihnen. Wogen türmten sich auf wie Berge und brachen über die Schiffe der Achäer. Binnen Sekunden wurden die Segel zerfetzt und die Ruder zerbrochen. Die Lokrer jammerten und flehten zu den Göttern, nicht erkennend, dass es diese selbst waren, die ihnen so übel mitspielten. Athene warf nun die ersten Donnerkeile, die krachend in die Schiffe einschlugen. Eins ums andere barst, und die nicht getroffen wurden, schleuderte der Sturm gegeneinander und zersplitterte sie. Die Männer, die dieser Zerstörung entgingen, wurden von Böen ins Meer gespült und von wilden Strudeln verschlungen. Einzig das Schiff des Aias' schaukelte steuerlos, aber noch unversehrt wie ein Korken auf den Wellen.
Hoch erhobenen Hauptes klammerte sich Aias an den Mast seines Schiffes und schrie trotzig in den Wind: »Ich habe das große Troja besiegt! Ich lasse mich nicht von einem Sturm erschrecken! Lasst ab von mir!«
Jetzt ergriff Athene den schärfsten der Donnerkeile, den sie sich extra für Aias aufgespart hatte, und schleuderte diesen machtvoll gegen sein Schiff. Noch wollte sie ihn nicht töten.
Das Schiff des Achäers zerbrach in zwei Hälften und riss die Männer in die Tiefe. Einzig Aias gelang es, sich an einer Planke festzuklammern.
Von allen Seiten schlugen Blitze neben ihm ins aufgewühlte Wasser und brachten es zum Kochen. Schließlich erreichte Aias eine Klippe, fand Halt am nassen Fels und erklomm sie. Wieder zu Atem gekommen, brüllte er gegen die tobende Gischt:
»Seht, Ihr Götter! Selbst gegen Euren Willen bin ich entkommen! Und sollten alle Götter des Olymps gegen mich ziehen, Ihr werdet mich nicht besiegen!«
Das erzürnte den Meeresgott Poseidon, der bisher die Rettung des Aias' erwogen hatte, und er zerschmetterte mit einem einzigen Blitz die Klippe. Der Fels explodierte, und der Achäer flog in weitem Bogen ins Meer zurück. Während Aias versuchte, sich schwimmend zu retten, traf ihn ein gewaltiger Brocken und zerschmetterte ihm den Schädel.
Voller Genugtuung kehrte Athene in den Olymp zurück.
Die Schändung ihrer Priesterin Kassandra in ihrem Tempel war nun gebührend gesühnt.
*
»In diesen Zeiten ist viel Gesindel auf den Meeren unterwegs, das einen Teil von den Schätzen Trojas für sich haben will. Und da das Schicksal uns anscheinend zusammengeführt hat, habe ich nichts dagegen, dass ihr euch zu eurem Schutz meinem Konvoi anschließt. Zumindest eine Zeit lang«, sagte Odysseus mit großzügiger Arroganz zu den Tajarim. »Zuerst müssen wir einen Ort finden, wo wir Proviant fassen können. Diese schäbige Insel hier bietet ja nur berauschende Früchte.«
Raffim und Barsil stimmten sofort begeistert zu. Die Möglichkeit, ihren bisherigen Gewinn der Reise wieder verlieren zu können, war das Schrecklichste, was sie sich vorstellen konnten.
Kurz nach Sonnenaufgang ließen die zwölf Schiffe des Achäers und die Gublas Stolz die Insel der glücklichen Lotosesser hinter sich und nahmen Kurs gen Süden. Odysseus' hungrige Männer hielten erwartungsvoll nach einem geeigneten Ziel Ausschau.
Bereits gegen Mittag kamen zwei Inseln in Sicht, und Odysseus befahl, die kleinere, weil nähere der beiden anzusteuern.
Dort angekommen, zogen sie die Schiffe an Land und schlugen ein Lager auf. Sogleich schickte der Fürst von Ithaka mehrere Jagdtrupps aus, um die in Ufernähe herrenlos umherziehenden Ziegen zu fangen und zu schlachten.
Derweil berieten die Tajarim, wie man mit dem jungen Skamandrios verfahren solle. Seshmosis war dafür, ihn an Bord vor den Achäern versteckt zu halten, doch Kalala widersprach ihm energisch: »Der Junge braucht frische Luft! Wir können ihn doch nicht wie ein Tier im Käfig halten. Außerdem glaube ich nicht, dass die Achäer ihn als Kassandras Bruder und Hektars Sohn erkennen, er ist doch noch ein Kind. Sie haben ihn bestimmt noch nie gesehen.«
»Und wenn sie wissen wollen, wer der stumme Junge ist?«, fragte Seshmosis ängstlich. »Was sagen wir dann?«
»Wir geben ihn als meinen Pagen aus«, bestimmte Kalala. »Nubische Prinzessinnen haben immer exotisches Personal, das weiß man auf der ganzen Welt. Da fällt ein stummer Knabe überhaupt nicht auf.«
Nachdem dieses Problem gelöst war, ging Seshmosis mit Homeros den Strand entlang und beschrieb dem blinden Dichter einfühlsam die Landschaft.
»Das Meer vor uns ist eigentlich ein schmaler Meeresarm, und dahinter liegt eine große, bewaldete Insel. Odysseus behauptet, diese wäre die Heimat der
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