Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
und beschloss, in die Offensive zu gehen:
»Raffim, was bekümmert dich? Wollten die Kreter deine Ankersteine nicht kaufen?«
»Hör mir mit den Kretern auf! Dieses Volk hat keinen Sinn für das Praktische! Interessieren sich nur für Schnickschnack und Kultur. Ständig fragen sie nach Stoffen, Schmuck, Färbemitteln und Keramiken. Die Kunst der Waffenschmiede liegt auf dieser Insel völlig danieder. Eine Schande für die zivilisierte Welt!«
»Es gibt noch andere Inseln«, tröstete Seshmosis spöttisch. »Wir werden die Zivilisation schon noch finden.«
Schadenfroh begab sich der Schreiber unter Deck. Er verstaute gerade den Schrein von GON in seinem Verschlag, als der Nomadengott materialisierte. Das vertraute Gesicht der rot getigerten Katze beruhigte Seshmosis.
»Ich bin stolz auf dich, Seshmosis«, sagte die Katze. »Du hast den ersten Teil der Aufgabe mit Bravour erledigt.«
»Den ersten Teil?«, echote Seshmosis. »Soll das heißen, das Abenteuer ist noch nicht zu Ende?«
»Würde es dir besser gefallen, wenn ich sagte, alles ist vorbei, und du stolperst unvorbereitet von einer Gefahr in die nächste? Sicher nicht. Wir haben wichtige Aufgaben vor uns. Versuch es von der positiven Seite zu sehen: In den nächsten Wochen wird es dir bestimmt nicht langweilig werden.«
Eine Stunde später gab Zerberuh den Befehl: »Leinen los !«
*
Pan beobachtete fasziniert eine Familie von Stachelmäusen, die sich mit einigen Schneckenhäusern beschäftigte. Mit ihren spitzen Zähnen knackten die kleinen Nager geschickt die versiegelten Behausungen und machten sich sodann genüsslich schmatzend über ihre schlafende Beute her.
Als er hinter sich ein tiefes Schnauben hörte, drehte Pan sich um.
Erfreut begrüßte er Asterion und seinen Freund Aram.
Das Goldene Kalb hob den Kopf, erkannte Aram und rannte ihm freudig entgegen. Aram kraulte glücklich sein Kälbchen und knuddelte sein Fell.
»Ich bin so froh, dass ich wieder zu Hause bin!«, rief er. »Sieh, Asterion! Das ist das Goldene Kalb, von dem ich dir so viel erzählt habe.«
»Es ist wirklich herrlich und unverwechselbar«, stellte der Halbgott fest und näherte sich dem Kalb. Er senkte den mächtigen Stierschädel und berührte ganz behutsam mit seiner großen Stirn die Stirn des Kleinen. So verharrten sie eine Weile und schienen für Menschen unhörbar zu kommunizieren.
Nach einer Weile erfüllter Stille wandte sich Asterion an Aram: »Ihr beide seid untrennbar miteinander verbunden. Das Kalb, das den Anfang der Lebensreise symbolisiert, und du, der du für das Leben im Tod stehst.«
Gerührt streichelte Aram sein Stierlein. Was immer Asterion ausdrücken wollte, er, Aram, brauchte keine Worte dafür. Er war einfach nur Hirte, und hier war sein Schützling. Was interessierte ihn das Treiben der Menschen oder der Götter? Er verstand, dass seine über den eigenen Tod hinausreichende Besessenheit für Badehäuser in Wirklichkeit die unerfüllte Sehnsucht nach einem vollkommenen Leben gewesen war. Einem Leben, das er überschauen und in dem er sich einrichten konnte, mit festen Regeln und ohne Ängste. Es war wie die Jagd nach der einen großen Liebe, ohne die man nicht vollständig ist. Und hier hatte er sie und das Leben gefunden, auch wenn er schon jenseits des Todes war. Alles, was für ihn jetzt zählte, war das Kälbchen, eine gute Weide, ein warmer Unterschlupf und die gemeinsame Freude.
Pan verstand ihn und lächelte. Dann sagte er zu Asterion: »Leider ist dein Besuch hier schon zu Ende. Wie gern würde ich noch länger mit dir zusammen sein, doch dein Vater Poseidon ruft nach dir.«
Noch während Pan sprach, löste sich Asterion langsam auf, bis er ganz verschwunden war und nur noch ein Abschiedslächeln in der Luft schwebte.
*
Anfangs ließ sich Ariadne einfach treiben, unentschieden, ob sie leben oder sterben wollte. Doch dann siegte die Wut, und sie schwamm zu dem kleinen Eiland. Erschöpft und nackt lag sie am schmalen Strand, das Blut pochte in ihren Ohren und ihr war übel. Wenigstens fror sie nicht, denn die Sommersonne wärmte ihren Körper.
Als sich Ariadne erholt hatte, setzte sie sich auf und betrachtete die steil aufragenden Felsen. Sie kannte die Insel Dia nur vom Hörensagen und wusste nicht einmal, ob diese bewohnt war. Sie versuchte ihre Fassung wieder zu finden und überlegte, was nun zu tun wäre.
Ich bin gedemütigt und entehrt, wie es nicht schlimmer geht, dachte die Prinzessin.
Auf einmal kam ein Mann
Weitere Kostenlose Bücher