Die Nonne und der Harem
Harem gesehen. Seltsamerweise besaßen sie alle sehr jugendliche Stimmen, obwohl sie deutlich älter waren. Es wäre ihr unerträglich, würde ein Mann sie nackt sehen. Als sie keine Männer entdeckte und lediglich einige Dienerinnen und Haremsfrauen, die sich taktvoll mit gebührendem Abstand in dem Baderaum verteilt hatten, zog sie kurzentschlossen auch die Tunica aus. Den Schleier hatte man ihr bereits nach der Schlacht abgenommen, den restlichen Habit ihr überraschenderweise jedoch belassen.
Heloïses Körper war durch die Leiden und die lange Reise zum Harem noch dünner geworden, doch dies konnte ihre Schönheit nicht schmälern. Wohlgeformte Beine und kleine, feste Brüste gesellten sich harmonisch zu ihrem schmalen, feinen Gesicht mit den mittlerweile halblangen, blonden Haaren. Ein Raunen und Flüstern ging durch das Bad, denn den anwesenden Osmaninnen musste Heloïse wie ein beinahe durchscheinender Engel erscheinen, der nicht von dieser Welt stammte.
Djamila sagte etwas auf arabisch, dann erklärte sie »Die Frauen bewundern Eure Schönheit, meine Freundin. Gesellt Euch zu mir.«
Die Zisterzienserin, nun nackt wie Gott sie schuf, trat an das Bassin und die kleinen Treppen heran, die tiefer in das Becken führten. Für Heloïse war das Bassin tiefer und größer als jeder Ozean. Sie trat auf die erste Stufe und klares, warmes Wasser umspülte ihre Zehen. Auf der nächsten Stufe reichte ihr das Wasser bis zu den Knöcheln, dann zu den Knien. Sie schluckte und blieb stehen, blickte ängstlich zu Djamila, die auffordernd nickte. Plötzlich spürte sie Hände, die ihre Arme hielten. Erschreckt blickte sie hinter sich und sah zwei weitere, nackte Frauen, die sie festhielten.
»Seid unbesorgt«, erklärte Djamila beruhigend. »Sie möchten nur sicherstellen, dass Ihr nicht stürzt und helfen Euch, zu mir zu gelangen.« Heloïse war dennoch nicht wohl zumute, doch nach weiteren fünf Minuten stand sie auf dem Boden des Bassins und registrierte erleichtert, dass das Wasser ihr in jedem Fall bis zum Brustbein reichte. Es war sehr warm, und Dampfschwaden lösten sich beständig von der Wasseroberfläche. Heloïse wäre nicht verwundert gewesen, wenn sich das Wasser allein durch ihre Angst derart aufgeheizt hätte.
Ihre beiden Begleiterinnen lächelten, dann sagte eine etwas zu den staunenden Frauen, die sich am Beckenrand versammelt hatten, woraufhin diese eifrig nickten und auf Heloïse deuteten. Fragend schaute diese Djamila an. »Sie bewundern Euch, wie ich sagte. Eure Haut ist so wundervoll weiß und sie sagen, Ihr seht aus wie eine leuchtende Fackel, die in das Wasser gegangen ist. Selbst unter Wasser strahlt Euer Körper Licht aus. Heloïse blickte an sich herunter und erkannte ihren vom Wasser verzerrt wiedergegebenen Körper. In der Tat war Djamilas Körper nicht zu erkennen, da er ohnehin dunkelhäutig war und das Bassin in seiner dunkelgrünen Färbung auch das Wasser abdunkelte. Sie hingegen leuchtete wie der Venusstern am Abendhimmel.
Sie erreichte schließlich Djamila, die aufstand und Heloïse auf die Sitzkante dirigierte. Dort ließ sich die Nonne erleichtert nieder und fühlte sich etwas sicherer. Für eine Weile unterhielten sich Djamila und Heloïse über die Gepflogenheiten im Harem und die Nonne stellte aus ehrlichem Wissensdurst viele Fragen. Allmählich wurde ihr klar, dass sie nicht nur eine Gefangene war, sondern Bestandteil einer abgeschlossenen Frauengesellschaft in diesem Harem. Sie begriff auch, dass Djamila die Verantwortung für die Neue aus einer fremden Kultur trug und es ihre Aufgabe war, Heloïse zu unterrichten, ihr die arabische Sprache beizubringen und vermutlich noch weitere Dinge, die sie nicht erwähnte.
Heloïse blickte zum kuppelförmigen Dach, das über und über mit Ornamentmalerei verziert war. Durch kreisrunde, kleine Öffnungen in der Kuppeldecke fiel Tageslicht schräg in den Raum hinab. Im Dämmer des Bades sah es aus, als brächen Lichtlanzen aus einem düsteren Himmel. Irgendetwas an diesem Bild berührte Heloïses Seele. Ihr wurde plötzlich und schlagartig bewusst, wie einsam sie war, wie weit sie von ihrer Welt, die sie kannte, entfernt war und es dämmerte ihr, dass sie ihre Heimat nie wiedersehen würde. Eine Traurigkeit und Verzweiflung überkam sie, die sie niemals zuvor verspürt hatte. Sie begann im Geist zu beten, doch Djamila schien den Ausdruck in ihren Augen erkannt zu haben, strich ihr über die Wange und winkte einer Dienerin am Beckenrand.
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