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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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genug, dass sie dir endlich die Wahrheit sagt.«
    Meine Knie begannen zu zittern. Ich war auf einmal müde, so ungeheuer müde, dass ich mich am liebsten auf den Boden gelegt und in meinen Umhang eingewickelt hätte, doch ich riss mich zusammen.
    »Das kann ich nicht.« Meine Stimme war so leise, dass ich nicht sicher war, ob mich überhaupt jemand verstand. »Unsere Nachbarn haben meine Mutter verbrannt.«
    Richard erstarrte. Einer der Gaukler zog scharf die Luft ein, ein anderer senkte den Kopf. Czyne musterte mich mit unverändert distanziertem Gesichtsausdruck, so als wäre das, was sie hörte, nicht von Bedeutung.
    Ich wandte mich von Richard ab und ging unsicher zu einem der Tische. Georg hatte den Beutel mit Fleischresten dort abgestellt. Als ich ihn öffnete, schlug mir schwerer Verwesungsgeruch entgegen. Ich schluckte die Übelkeit hinunter, die in mir aufstieg, und begann, Maden aus dem Fleisch zu ziehen und in eine Holzschüssel zu legen. Niemand sagte etwas. Aus dem Wasserkessel, den Femeke über die Feuerstelle gehangen hatte, stieg Dampf auf.
    Die Gaukler und Schmuggler standen einen Moment unschlüssig da, dann verteilten sie sich, gingen entweder zu ihren Lagern oder zu dem Gang, der an die Oberfläche führte.
    Die Tränen auf meinen Wangen trockneten, der Druck in meiner Kehle und das Brennen in meinen Augen ließen nach. Ich konzentrierte mich auf meine Arbeit und versuchte an nichts anderes zu denken.
    Die Holzbank, auf der ich saß, knirschte, als Richard sich neben mich setzte.
    »Willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf und pulte Maden aus dem fauligen Fleisch.
    »Glaubst du mir?«
    Er brauchte nicht zu erklären, was er meinte, und auch wenn ich es am liebsten nicht zugegeben hätte, ich glaubte ihm, also nickte ich.
    Aus den Augenwinkeln sah ich ihn kurz lächeln. »Wir mussten gehen«, sagte er dann. »Es hatte nichts mit dir zu tun oder mit deiner Mutter. Ich wurde schon oft in kleinen Dörfern aufgenommen. Die Menschen freuen sich, wenn sie Geschichten hören über Orte, die sie nie sehen werden. Sie sind großzügig und freundlich. Bis etwas passiert. Eine schlechte Ernte, ein totgeborenes Kalb, eine Seuche …«
    Er bewegte die Hand, offenbar unschlüssig, ob er meinen Arm berühren durfte. Dann entschied er sich und legte sie auf die Tischplatte.
    »Es trifft immer die Gleichen», fuhr er fort, »die Fremden, die Juden, die, die anders leben. Sie hätten uns umgebracht, wären wir geblieben.«
    »Stattdessen haben sie meine Mutter umgebracht.« Es war gemein, das zu sagen, aber die Worte verließen meinen Mund, bevor ich mich bremsen konnte.
    Richard betrachtete einen Moment lang die wimmelnden weißen Würmer in der Holzschüssel, dann nickte er und stand auf. »Ja.«
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er in den kleinen Gang ging, den ich noch nicht betreten hatte. Czyne folgte ihm und verschwand hinter ihm im Halbdunkel.
    Jemand räusperte sich neben mir. Ich hob den Kopf. Es war Georg gewesen. Er fuhr sich nervös mit einer Hand durch die Haare.
    »Bring eine Schüssel heißes Wasser und den Beutel mit den Kräutern, den ich mitgebracht habe, zu Paul«, wies ich ihn an.
    Georg nickte. Einen Augenblick lang zögerte er, so als wolle er etwas fragen oder sagen, dann ging er stumm zu dem Kessel. Ich war froh darüber.
    Dass Mutter mich belogen hatte, wusste ich längst, doch nur nach und nach erkannte ich, wie weit ihre Lügen gereicht hatten. Es beschämte mich, dass anscheinend jeder außer mir davon gewusst hatte.
    Denk nicht länger darüber nach, befahl ich mir. Die Vergangenheit liegt hinter dir, nur die Zukunft zählt jetzt.
    Es war ein guter Gedanke, auch wenn er allein sicherlich nicht reichen würde, die Erinnerungen zu vertreiben.
    Paul wartete bereits auf mich, hielt mir seine ausgestreckte Hand entgegen, als ich an seine Schlafstatt trat. Sein Blick zuckte zu der Schüssel voller Maden, sein Adamsapfel hüpfte, dann fuhr er sich mit der Zunge über die rauen Lippen. »Die sind für mich, oder?«
    Ich nickte. »Hab keine Angst, sie fressen nur totes Fleisch. Es wird nicht wehtun.«
    Vorsichtig schüttete ich die Maden in die Wunde.
    Paul starrte nach oben. Seine Lippen bewegten sich. Er betete stumm.
    »Ist das widerlich«, sagte Georg hinter mir. Ich hatte nicht bemerkt, dass er mir gefolgt war. Er stand da, mit einer Schüssel Wasser in der einen und sauberen Stoffbandagen in der anderen Hand, und starrte auf die Maden.
    Schon als

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