Die Nonne und der Tod
uns gehen.«
Kapitel 34
Maria, Richard und ich nahmen die breite Straße, die zum Severinstor führte. Je näher wir der Stadtmauer kamen, desto mehr Rüstungen sah ich. Zwischen ihnen standen Ochsenkarren, auf denen Menschen ihren Besitz transportierten. Sie bildeten eine lange Schlange, die bis zum Tor reichte. Soldaten versuchten sie zum Umkehren zu bewegen, aber die Wagen standen teilweise zu zweit und dritt nebeneinander. Niemand konnte wenden.
Knapp vor dem Tor stieg Richard auf die Ladefläche eines Karrens und sah sich um. »Philip!«, schrie er über den Lärm der Menschen und Ochsen hinweg. »Philip! Komm mal her.«
Ein Soldat sah auf, entdeckte Richard und bahnte sich einen Weg durch die Wartenden. Die Menschen, teilweise mit schweren Säcken beladen, wirkten zugleich wütend und verängstigt.
Maria klammerte sich an mich. »Ich habe seit Jahren das Kloster nicht mehr verlassen«, sagte sie, während ihr Blick über die Menge glitt. »Das ist mir alles zu viel.«
Ich drückte ihre Hand. »Wir sind bald draußen.«
Allerdings fragte ich mich, wie Richard sich das vorstellte. Wir konnten nicht an all den Menschen vorbei durch das Tor spazieren, selbst wenn es ein Soldat für uns öffnete.
» Wie viel?«, stieß Richard im gleichen Moment hervor. Er packte Philip am Arm und zog ihn zu uns an den Straßenrand. »Das kann nicht dein Ernst sein!«
Philip, ein hässlicher Mann mit geröteter Nase, in dessen Mund nur noch gelbe und schwarze Zahnruinen steckten, zuckte mit den Schultern. Der Helm saß ihm schräg auf dem Kopf. »All die Reichen wollen raus. Die können sich das leisten. Wenn du zu geizig bist, bleib hier.«
Er wollte sich abwenden, aber Richard ließ ihn nicht los. »Aber dafür kommen wir auch wieder rein!«
Der Soldat zögerte, nickte dann jedoch und grinste. »Aber nur, weil du eine Nonne dabeihast.«
Er streckte die Hand aus, und Richard holte seinen Geldbeutel hervor. Münzen wurden abgezählt, mehr als ich bis dahin je gesehen hatte, dann sagte Philip: »Du musst oben herum gehen, unten geht nicht.«
»Das dachte ich mir schon.« Richard klang wütend.
Der Soldat lachte und verschwand zwischen den Karren.
»Und was jetzt?«, fragte ich. Marias Griff schmerzte, aber ich ließ sie gewähren.
Richard sah zum Himmel. »Bald ist es dunkel, dann macht ihr, was ich sage.«
Ich spürte seine schlechte Laune und schwieg. Maria umklammerte mit einer Hand noch immer meinen Arm und mit der anderen den Rosenkranz an ihrem Gürtel. Als irgendwo, nicht weit entfernt von uns, ein lautes Wiehern erklang, zuckte sie zusammen.
»Es ist nur ein Pferd«, sagte ich leise.
Sie nickte.
Ein erneutes Wiehern, lauter und ängstlicher als das erste, dann der Schrei eines Mannes. Ich fuhr herum, die Menschen auf und zwischen den Karren drehten die Köpfe. Ein Pferd, groß und schwarz, stieg hinter uns auf. Der Mann, der darauf saß, riss an den Zügeln, aber die Augen des Tiers waren angstgeweitet.
Mit einem Satz sprang es vor, hinein in eine Gruppe Soldaten, die zur Seite gestoßen oder zu Boden geworfen wurden. Das Pferd trat nach hinten aus, der Reiter, ein vornehm aussehender, hochgewachsener Mann, wurde abgeworfen, und von seinem Gewicht befreit, stieg das Pferd ein weiteres Mal auf und preschte dann los.
Menschen wichen ihm aus, prallten gegeneinander, stolperten und fluchten. Der Huf eines auskeilenden Pferdes kann einem Menschen die Rippen zertrümmern oder den Schädel zerschmettern, und das Gewicht des Tiers hätte ausgereicht, um Karren wegzudrücken und Menschen zu zerquetschen.
In dem panischen Versuch, über die Karren zu fliehen, sprang das Tier, doch seine Vorderläufe prallten gegen die Kisten, die auf einem der Karren gestapelt waren. Es stürzte, seine Hinterläufe streiften den Mann, der den Karren lenkte, und schleuderten ihn vom Kutschbock. Ochsen muhten erschrocken und setzten sich mit einem Ruck in Bewegung, rammten gegen den Karren vor ihnen.
Das Pferd schrie schriller und lauter als jeder Mensch. Soldaten verließen ihre Posten und liefen auf das Tier zu, als es blutüberströmt und lahmend wieder hochkam.
Überall wurde gerufen und gebrüllt. »Ich will raus!«, schrie jemand.
Ich sah die Speere der Soldaten und dachte an den Blutplatz. »Müssen wir wirklich noch warten?«
Richard biss sich auf die Unterlippe. »Nein. Kommt.«
Ich zog Maria hinter mir her. Um uns herum geriet plötzlich alles in Bewegung, Ochsenkarren, Menschen und Pferde. Die Reiter waren
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