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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Augen, als verstünde sie selbst nicht, was mit ihr geschah.
    »Wir sollten es noch einmal mit Gebeten versuchen«, sagte Mutter Immaculata, »bevor wir Vater Pius bemühen.«
    »Gebete?« Schwester Johannita schlug mit der flachen Hand auf die Lehne der Bank vor ihr. »Seit Wochen tun wir nichts anderes, und Ihr seht selbst, zu was das geführt hat – zu nichts! Im Gegenteil, es wird immer schlimmer. Wie lange wollt Ihr noch warten, bis der Antichrist selbst aus diesem Bauch kriecht?«
    Noch nie hatten sich die beiden hohen Nonnen vor uns gestritten. Es verstörte mich fast so sehr wie Benediktas Aufführung, als ich sah, wie Immaculata unter Johannitas Worten zusammenzuckte.
    »Vielleicht ist es besser so«, sagte die Äbtissin zögernd, als wolle sie sich mit ihren Worten selbst überzeugen. »Hol ihn.«
    »Ja, ehrwürdige Mutter.« Johannita stürmte aus der Kapelle.
    Mutter Immaculata hob die Hand, als wir aufstehen wollten. »Wir werden hierbleiben und für unsere Schwester beten.« Die Autorität kehrte in ihre Stimme zurück. »Kniet nieder.«
    Ich folgte ihrem Befehl ebenso wie alle anderen. Hinter uns schloss Schwester Maria die Kapellentür.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis wir etwas anderes hörten als unsere eigenen Stimmen. Mönchsgesänge drangen durch die geschlossene Tür. Ich wusste nicht genau, woher die Stimmen kamen, jedenfalls nicht aus Benediktas Zelle, wahrscheinlich aus dem Refektorium. Sie wurden lauter, brachen ab und setzten erneut an.
    Und dann vernahmen wir die Schreie. Zuerst glaubte ich, der Wind hätte aufgefrischt und würde sich zwischen den Balken verfangen, doch dann, als die ersten Nonnen ihre Gebete unterbrachen, hörte ich, dass es Benedikta war.
    Ihre Schreie waren entsetzlicher und lauter als alles, was ich je in meinem Leben gehört hatte.
    »Betet!«, befahl die ehrwürdige Mutter über das Kreischen hinweg. »Betet um die Seele eurer Schwester!«
    Ich glaube, wir beteten weniger aus Überzeugung, als um die Schreie zu übertönen, doch egal, wie laut wir beteten und sangen, wir hörten sie immer noch.
    Es dauerte Stunden.
    Die Kerzen in der Kapelle brannten nieder und wurden von den kleinen Mädchen, die erst seit kurzem bei uns waren, ausgetauscht. Ich sah, dass sie weinten und ihre Hände so sehr zitterten, dass sie die Kerzen kaum entzünden konnten.
    Die Luft wurde stickig. Einige übergaben sich. Klara fiel in Ohnmacht, Alfonsa tat so, als würde sie ebenfalls zusammenbrechen, doch als sie auf dem Boden lag, hielt sie sich die Ohren zu.
    Sie war nicht die Einzige.
    Und dann, auf einmal – ich kann nicht sagen, wie viele Stunden vergangen waren –, wurde es draußen still.
    Mutter Immaculata hob die Hand. Wir hörten auf zu beten, lauschten stattdessen auf die Schritte, die sich der Kapelle näherten.
    Die Tür öffnete sich knarrend, und Vater Pius trat ein, gekleidet in eine schwarze Kutte. Sein graues Haar klebte ihm schweißnass am Kopf.
    »Es ist vorbei«, sagte er nur, und jeder in der Kapelle wusste, dass Benedikta tot war.
    »Geht in eure Zellen«, befahlt Mutter Immaculata, doch ihre Stimme war schwach, und ich sah, dass sie sich kaum noch aufrecht halten konnte. Sie nickte Schwester Maria kurz zu, weshalb wusste ich nicht.
    Ich schloss mich den Novizinnen an. Meine Knie zitterten, meine Lippen waren trocken, meine Kehle rau. Ich gehörte zu den Letzten, die aus der Kapelle gingen.
    Ich werde sie nie wieder betreten .
    Der Satz stand klar in meinem Geist. Es war keine Entscheidung, die ich getroffen, und nichts, worüber ich nachgedacht hatte. Ich wusste in diesem Moment einfach nur, dass es so war.
    Ich drehte den Kopf, sah ein letztes Mal zurück. Mutter Immaculata kniete unter dem Kruzifix, der Stock lag neben ihr auf dem Boden, die Hände hatte sie vors Gesicht geschlagen. Ich wusste nicht, ob sie betete oder weinte, vielleicht beides.
    Vor mir gingen die Novizinnen die Treppe hinauf. Ich hörte es knirschen, als Schwester Maria die schweren Eisenriegel vor die Zellentüren zog. Sie schloss uns ein.
    Ich drehte mich um und ging die Treppe hinunter.
    Niemand bemerkte mich.

Kapitel 21
    Über der Stadt ging die Sonne auf. Ich hockte zwischen den alten Bäumen im Garten des Klosters, atmete den Geruch des Harzes ein und faltete meine Kleidung auseinander. Ich hatte sie in der Kammer gefunden, in der ich vor einer Zeit, die mir unendlich erschien, zum ersten Mal die Tracht angelegt hatte.
    Es war niemand zu sehen so früh am Morgen. Nur die Vögel, die auf

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