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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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»Danke.«
    Die Magd wandte sich daraufhin ohne ein weiteres Wort ab und ging.
    Die Gasse, durch die ich schritt, mündete in den großen Platz rund um den Dom. Das Gebäude war immer noch von Gerüsten umgeben, aber auch an diesem Morgen war niemand auf den Leitern und Brettern zu sehen.
    Ich erschrak, als mein Blick auf den Platz vor dem Dom fiel. In meiner Erinnerung war er voller Stände und Menschen, ein wildes Durcheinander aus Herrschaften und Dienern, Bauern und Bettlern. Doch nun befanden sich dort nur einige wenige Händler und ein paar Handwerker, und ich sah keinen einzigen Bauern, keine ausgebreiteten Decken mit Äpfeln und Getreide, keine prall gefüllten Körbe, nur noch ein paar Mönche und ärmlich gekleidete Menschen so wie ich. Es lag natürlich an der Schließung der Stadttore. Ohne die Bauern kamen auch keine Lebensmittel mehr in die Stadt. Ich fragte mich, wie viel sich in den Kornspeichern von Coellen befand und wann die Ratsherren die Tore wieder öffnen mussten, damit die Einwohner nicht verhungerten.
    »Weitergehen«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum und blickte auf die Brustplatte eines Soldaten, der zusammen mit zwei anderen hinter mir stand. »Hier wird nicht herumgelungert.«
    »Ich suche den Apotheker Erasmus«, antwortete ich. »Seine Apotheke soll hier sein.«
    »Andere Seite.« Der Soldat sah mich bereits nicht mehr an und musterte stattdessen die anderen Menschen auf dem Platz. Er wirkte angespannt und schlecht gelaunt.
    Ich bedankte mich und ging rasch weiter. Die Soldaten wandten sich in eine andere Richtung. Ich sah, wie sie auch andere verscheuchten.
    Die Häuser auf der anderen Seite des Platzes waren zweistöckig und machten ganz den Eindruck, als wenn ihre Besitzer recht wohlhabend waren. Dort hatten sich mehrere Menschen versammelt. Sie standen teils auf den Treppen, die zu den hohen Eingangstüren führten, und einige schauten auch aus den Fenstern der Häuser.
    Eine tiefe und sonore Stimme war zu hören: »… aus dem Land der Heiligen Drei Könige.«
    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah eine provisorisch wirkende Holzbühne, auf der ein hochgewachsener Mann mit dichtem grauem Haar stand. In einer Hand hielt er eine Schriftrolle, die er dem Himmel entgegenstreckte, in der anderen eine Holzschatulle. Immer wieder klopfte er darauf, während er der Menge zurief: »Aus dem Morgenland, aus den Städten der Sarazenen und von Orten weit jenseits unserer Kenntnis, haben Reisende mir wundersame Tinkturen und Kräuter gebracht. Sie setzten dabei ihr Leben aufs Spiel, denn der Sarazene teilt nicht mit denen des wahren Glaubens. Diese Reisenden schließt in euer Gebet ein, denn sie haben die Rettung zu uns gebracht.«
    Die Menge jubelte. Die meisten der Menschen waren wohlhabend, fast alle trugen Schuhe und Hüte, und ihre Umhänge waren zumeist aus feinen Stoffen; ich sah kaum grobe Wolle.
    »Aber all das würde euch nicht helfen«, rief der Mann auf dem Podest, »wenn es diese Schrift nicht gäbe.« Er hob die Rolle in seiner Hand erneut hoch.
    Die Menge jubelte, nur eine Frau schrie: »Sag uns endlich, was darin steht!«
    Der Mann auf dem Podest lachte. »Hab Geduld, du wirst es gleich erfahren.« Seine Stimme wurde leiser, und mit ihr verklang auch der Jubel der Menge. »All die Kräuter und Wunder des Morgenlandes würden nicht reichen, um euch vor dem zu bewahren, was so viele dahinrafft. Meine Studien offenbarten mir, dass diese Seuche stärker ist als die Weisheit der Ungläubigen. Sie würden euch sagen, dass ihr die Tränke einnehmen müsst, damit der Seuche der Weg in euren Magen versperrt ist, dass ihr die Tinkturen auftragen müsst, damit eure Haut zur Rüstung dagegen wird. Aber sie alle vergessen das Wichtigste.«
    Er machte eine Pause. Die Menge war so still, dass ich einen Hund in der Ferne bellen hörte.
    »Wo ist euer Feind?«, fragte der Mann auf dem Podest. »Wo ist die Seuche?«
    »Sag es uns, Erasmus!«, rief ein Mann in der Menge.
    Ich zuckte zusammen, als ich den Namen hörte, obwohl ich es schon fast geahnt hatte. Doch der Erasmus, den ich auf dem Podest sah, wirkte so anders als der, von dem Jacob erzählt hatte.
    Der Apotheker beugte sich vor und sagte in die Stille hinein: »In der Luft!«
    »Wo?«, rief eine Frau, und ich war mir nicht sicher, ob sie die Antwort nicht verstanden hatte oder es nicht glauben wollte.
    »In der Luft!«, wiederholte Erasmus lauter.
    Auch die anderen in der Menge wirkten verwirrt. Wahrscheinlich hatten

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