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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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völlig von den Aufregungen der vergangenen Nacht erholt zu haben, ja, sie benahm sich, als wäre nichts geschehen. Ich fragte mich, ob sie sich überhaupt an irgendetwas erinnerte. Ich sah sie immer noch vor mir, wie sie splitternackt den wütenden schwarzen Himmel anbrüllte und lüstern ihre Hüften dem Regen entgegenstreckte – wie eine gewöhnliche Straßendirne. Der Anblick jener schrecklichen, purpurroten Narbe, die sich in ihr Fleisch gebrannt hatte, wollte mir nicht aus dem Kopf. Meine Gefühle ihr gegenüber schwankten zwischen Furcht und Mitleid. Was sollte ich nur von diesem Geschöpf halten?
    Von der Tür her war ein Trippeln zu hören. Ein Eichhörnchen stellte sich auf seine Hinterbeine, reckte den Hals und schnüffelte wie ein Hund. Agnes’ Miene verwandelte sich auf der Stelle.
    »Mein kleiner Schatz«, gurrte sie, nahm eine Hand voll Haselnüsse aus einem Säckchen auf dem Tisch, ging in die Hocke und legte sie auf den Boden. Das Tier flitzte herbei und stopfte sich eine Nuss nach der anderen in die Backentaschen, während Agnes ihm unablässig Koseworte zumurmelte wie eine Mutter ihrem Säugling.
    Dann schien sie sich plötzlich meiner Gegenwart zu entsinnen, blickte auf und fragte: »Was starrst du denn so?«
    »Ich starre doch gar nicht!«
    »Ich werde ihm nichts tun.«
    »Das weiß ich.«
    »Ich würde ihm niemals etwas tun. Ich mache nichts Unrechtes.«
    »Es ist doch nur ein Eichhörnchen, Agnes.«
    »Du wirst der Äbtissin nichts erzählen?«
    »Natürlich nicht.«
    Ich wusste, warum sie dermaßen auf der Hut war. Wir durften uns eigentlich nicht mit Tieren anfreunden, denn die Äbtissin befürchtete, sie könnten Werkzeuge des Teufels sein. Vertrauter Umgang mit Katzen, Krähen oder Schweinen galt als Erkennungsmerkmal für Hexen. Die Äbtissin würde sicherlich missbilligend die Stirn runzeln, falls sie von Agnes’ Freundschaft mit diesen kleinen Geschöpf erfuhr.
    Das Eichhörnchen gab glucksende Laute von sich und huschte rasch zur Tür. Agnes erhob sich und klatschte in die Hände, um es zu verscheuchen. Dann sah sie mich finster an, als hätte ich sie getadelt.
    »Es ist nichts Schlimmes dabei«, sagte sie und begann erneut Knoblauch zu zählen.

SUBILLAIS
    Die Ebene von Toulouse ist wie der Himmel – flach und offen, ohne Schatten, sodass ein Mann stets sehen kann, wohin sein Weg führt. Doch hier im Süden drängen sich die dunklen, nackten Berge aneinander und werfen ihre riesigen Schatten beinahe den ganzen Tag über auf die Täler, und die düsteren Wälder wirken äußerst bedrückend auf den Geist.
    Ein Bergrücken ragte vor uns aus dem Nebel, der wie Schwefel über dem Tal hing.
    Ich hatte den Wunsch geäußert, den Ort zu sehen, an dem die beiden Leichen ohne Kopf gefunden worden waren, und der Seigneur hatte angeboten, uns selbst dorthin zu führen. Wir brachen in der Morgendämmerung mit einer bewaffneten Eskorte auf. Der Seigneur ritt neben mir auf einem alten Schlachtross. Das Pferd, das man für mich aufgetrieben hatte, reichte diesem Hengst kaum bis zur Kruppe und war recht mager, jedoch sehr zahm und willfährig.
    Auf dem Waldboden lag frischer Schnee. Während wir dem hart gefrorenen Pfad folgten, vernahm ich von Zeit zu Zeit ein Krachen im Unterholz – vielleicht stammte es von einem Wildschwein, vielleicht aber auch von Kobolden, die vor den Rechtschaffenen flohen. Noch immer wandelten Dämonen auf der Erde, wie alle Menschen wussten, die bei Verstand waren.
    Unser großer Gelehrter Thomas von Aquin hatte erkannt, dass Dämonen in vielen verschiedenen Formen aufzutreten vermochten. Sie konnten in Gestalt einer schönen Frau einen Mann verführen, in der Nacht, wenn er am wenigsten auf der Hut war, und auf diese Weise seinen Samen rauben.
    Oder sie kamen als Inkubus und schändeten eine Frau in ihrem eigenen Bett, um jener ihre Dämonensaat einzupflanzen. Solch eine Frau gebar dann einen Dämon mit zwei Köpfen oder ein Wesen, dessen Körper halb Mensch, halb Hund war. Auf diese Weise fand der Erzfeind immer wieder seinen Weg in die Welt.
    Ich berührte das Kruzifix an meinem Hals und betete leise für unsere Erlösung.
    Wir hielten an einem Gebüsch tief im Wald. Es herrschte eine unheimliche Stille.
    »Hier habt Ihr sie gefunden?«, fragte ich.
    »Dies ist der Ort.«
    Ich stieg von meinem Pferd und betrachtete prüfend den Boden.
    »Ihr sagt, sie seien enthauptet worden?«
    »In der Tat, Vater«, erwiderte Raymond und bekreuzigte sich. Ihm war offensichtlich

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