Die Novizin
Zeugen, die Madeleine de Peyrolles der Häresie und der Ausübung von Hexenkünsten beschuldigen.«
»Und ihre Visionen?«
»Entweder Einbildung, eine Sinnestäuschung oder der Teufel in Gestalt einer Frau. Wie ich schon oft bemerkte, ist dies seine bevorzugte Larve.«
»Darin kann ich Euch nicht ganz zustimmen«, entgegnete ich.
Er lächelte, froh über die Gelegenheit, mir einen Vortrag halten zu können. »Das weibliche Geschlecht hat zwei mächtige Feinde. Der erste Feind der Frau ist ihre natürliche Fleischeslust, der sie aufgrund ihrer weiblichen Schwachheit nicht zu widerstehen vermag. Der zweite Feind ist ihre angeborene Wissbegierde, welche ihren Verstand beherrscht und ihren Glauben gefährdet. Diese Gefahren gelten sogar für Frauen, die in frommer Abgeschiedenheit leben.«
Es schien mir keinen Sinn zu machen, mit einem Inquisitor ein Streitgespräch anzufangen, daher setzte ich eine reuige, demütige Miene auf und wechselte das Thema. »Wie steht es um Euer Bein, Vater?«
»Es wird mir noch eine Weile lang unmöglich sein, zu reisen. Also werden wir unsere Inquisition specialis hier in Saint-Ybars durchführen müssen.«
Ich blickte ihm ins Gesicht. Seine Augen glänzten fiebrig, und ich dachte erneut daran, was der Knochensetzer mir erzählt hatte. Ich konnte mir kein größeres Unglück vorstellen, als einen Inquisitor zu beherbergen, der selbst von einem Dämon besessen war. Sein Bein war immer noch dick verbunden und ruhte auf einem Schemel. Unsere Diener mussten ihn überall hin tragen. Er war uns sowohl im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne eine Last.
»Ihr sagtet, das Mädchen sei von Bürgern der Stadt beschuldigt worden. Das erstaunt mich. Ich hatte nicht den Eindruck, es mit einer Ketzerin zu tun zu haben.«
»Aus eben diesem Grund hat der Heilige Vater uns Dominikanermönche damit betraut, Inquisitionen durchzuführen, Madame. Dem ungeschulten Auge bleibt vieles verborgen.«
Ich ahnte, dass auf uns alle große Schwierigkeiten zukommen würden, falls dieser Mann mit seinen Untersuchungen fortfuhr. Wenn Gott ihn so sehr liebte, warum hatte er ihn dann nicht zu sich geholt, als sich die Gelegenheit ergab? »Fürchtet Ihr etwa, dass es hier noch weitere Häretiker gibt?«, fragte ich ihn.
Subillais lächelte voller Bedauern. »Das wird sich zeigen. Aber meiner Erfahrung nach kann ein Häretiker nirgendwo überleben, wenn er keine Freunde hat.«
Ein kalter Luftzug umspielte meine Knöchel. Die Kirchenglocken läuteten zum Angelus.
Es würde noch lange dauern, bis der Frühling kam.
SUBILLAIS
Madeleine de Peyrolles besaß die Augen des Teufels. Ihr Nonnengewand verspottete die Kirche, denn ihre Haltung war hochmütig, und ihre grünen Augen blickten so verschlagen, dass ich mich in ihrer Gegenwart äußerst unbehaglich fühlte. Als sie den Raum betrat, schien ein feuchter Nebel mit hereinzuwehen.
In den Handbüchern, die jeder Inquisitor genauestens zu studieren hat, sind die Verfahren der Inquisition streng festgelegt. Als Mönche des Predigerordens sind wir gehalten, in jedem Fall eine Diffamierung sorgfältig auszuschließen, da Neid oder Hass hinter den Anschuldigungen stecken könnte. Die Heilige Inquisition darf keinesfalls zum Rachewerkzeug bei persönlichen Streitigkeiten werden. Unser Ziel besteht im Übrigen nicht darin, die Häretiker zu verfolgen, wie manche behaupten, sondern darin, sie zur Einsicht, zur Reue und zur Buße zu führen. Denjenigen, die nach Vergebung suchen, stehen die Türen der Heiligen Mutter Kirche immer offen.
Ich erklärte Madeleine de Peyrolles, dass sie der Hexerei und Häresie bezichtigt worden war. Natürlich verlangte sie zu wissen, wer sie beschuldigt hatte, also belehrte ich sie, dass das Kirchenrecht es untersagte, die Namen ihrer Ankläger preiszugeben. Das Konzil von Narbonne hatte eingehend über diese Frage beraten und entschieden, dass die Namen der Zeugen und die Art der Beweise vor den Beschuldigten zu verbergen seien, um Racheakte zu verhindern. Dem Ganzen war die Ermordung zweier Schriftführer in Diensten der Heiligen Inquisition in Narbonne vorausgegangen, die man auf brutale Weise erschlagen hatte, um an die Register zu kommen, die sie bei sich trugen. In diesen Zeiten folglich vermochten selbst Mönche nicht mehr ohne Geleitschutz das Land zu bereisen.
Madeleine wurde aufgefordert, die Namen derer, die ihr nicht wohlgesonnen waren, zu diktieren. Falls ihre Ankläger darunter waren, würden sie nicht als Zeugen
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