Die Nymphe Eva
»Vielleicht gibt es da irgendeine kleine Tatsache, die mir
zuvor entgangen ist. Etwas, das gar nicht wichtig scheint, es aber sein könnte.
— Sie verstehen doch?«
»Sehr
gut, Lieutenant«, sagte er melancholisch. »Ich will gern alles tun, was dazu
beiträgt, diesen Schmuck wiederzufinden. Im Augenblick bildet er den großen
Knochen, um den sich meine Versicherungsgesellschaft und ich streiten. Das
verstehen Sie wahrscheinlich?«
»Aber
sicher«, sagte ich höflich. »Als erstes hat also Garow Sie angerufen?«
Wolfe
gähnte leicht und erzählte dann erneut die Geschichte mit seiner exakten, müde klingenden
Stimme. Ich lauschte aufmerksam, bis er zu Ende war, aber die Story schien sich
in nichts von seinem ersten Bericht zu unterscheiden.
»Wie
benahm sich Garow , als er hier im Büro war?« fragte
ich. »Ich meine, war er völlig ruhig oder nervös?«
Der
Diamantenhändler überlegte ein paar Sekunden, bevor er antwortete. »Nervös,
würde ich sagen, aber eigentlich nicht mehr, als man erwarten konnte.
Schließlich handelte es sich um einen Mann, der anscheinend auf Grund einer
plötzlichen finanziellen Krise gezwungen war, den Schmuck seiner Frau zu
verkaufen. Er war darauf erpicht, daß alles geheimgehalten wurde, wie Sie ja wissen. Die ganze Transaktion wirkte wie eine Szene aus einem
schlechten Spionagefilm — ein Treffen zwischen zwei Geheimagenten oder so etwas
Läppisches. Er trug einen leichten Mantel und hatte die ganze Zeit über den
Kragen hochgeschlagen und den Hut ins Gesicht gezogen. Ich war versucht, ihn zu
fragen, was er sich davon verspräche, da außer uns beiden niemand anwesend war,
aber unterließ es dann doch, weil er offensichtlich nicht in der Laune für
humoristische Bemerkungen war.«
»Hat
er viel geredet?«
»Kaum
ein Wort.« Wolfe rümpfte mißbilligend die Nase. »Als er eintraf, sagte er:
>Ich bin Albert Jones< — der falsche Name, auf den wir uns geeinigt
hatten und den ich auch dem Wachmann gegenüber angegeben hatte, als ich ihm
sagte, daß ich gegen einundzwanzig Uhr dreißig an diesem Abend einen Kunden
erwartete. Dann legte Garow den Schmuck auf meinen
Schreibtisch und sah zu, während ich ihn prüfte. Ich versuchte eine
Unterhaltung in Gang zu bringen, um ihm das Warten ein wenig zu erleichtern,
aber er war so wortkarg, daß ich es nach einer Weile aufgab. Nachdem ich den
Schmuck in meinen Safe gelegt und dafür das Geld herausgenommen hatte, steckte er
die Scheine in seine Brieftasche und brummte dann, er zöge vor zu warten, bis
ich das Büro verlassen habe — und darauf dürfte sich im wesentlichen unsere
Unterhaltung beschränkt haben.«
»Aha!«
sagte ich hilflos. »Nun, jedenfalls nochmals vielen Dank, Mr. Wolfe. Wir werden
sicher bald Fortschritte in diesem Fall machen.«
»Bitte,
Lieutenant.« Er lächelte mir müde zu. »Hoffentlich ist es bald soweit. Ich
finde die Verhandlungen mit der Versicherungsgesellschaft widerwärtig.«
Als
ich gegen sieben Uhr an diesem Abend in meine Wohnung zurückkehrte, fühlte ich
mich enttäuscht und zudem seelisch und physisch in gleichermaßen schlechter
Verfassung. Noch immer hinkte ich leicht auf dem rechten Bein. Ich legte ein
paar Platten mit ernster Musik auf und lauschte düster auf die strengen Töne,
die aus den fünf in die Wand eingebauten Lautsprechern meiner HiFi-Anlage
drangen, während mein Abendessen in der Küche zu einer stinkenden Masse
verbrannte. Irgendwie war heute ein schwarzer Tag. Gegen neun Uhr lag ich mit
einem großen Glas Scotch im Bett, lediglich in Gesellschaft meiner eigenen
düsteren Gedanken.
Kurz
bevor ich einschlief, fiel mir plötzlich der einzige Lichtpunkt an diesem
ganzen elenden Tag ein: Annabelle Jackson, die mit einem entsetzten
Gesichtsausdruck im Büro gestanden hatte, als ihr bewußt wurde, daß dieses
aufreizende, mit Inschriften versehene Höschen meinen vulgären Blicken voll
preisgegeben war. Ich hatte mir bereits zur Hälfte einen neuen Slogan
ausgedacht, den ich ihr am Morgen mitteilen wollte und bei dem sich
»Schwerkraft« irgendwie auf »Leidenschaft« reimen sollte, aber bevor ich damit
am Ende war, schlief ich bereits.
NEUNTES KAPITEL
I ch parkte meinen Jaguar an dem darauffolgenden
ebenso hellen und sonnigen Morgen erneut vor dem Büro des Sheriffs und stieg
aus. Ein paar Sekunden später wurde mir dankbar bewußt, daß wenigstens eine
Person in Pine City mich als das erkannte, was ich
war — nämlich ein Held.
Ein
unscheinbar aussehender
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