Die Obamas
Kommando von Rahm Emanuel, assistiert von David Axelrod, zog in den Kongress ein. Der neue Senator aus Illinois mit der bemerkenswert steilen Karriere hatte maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen. »Wahlen machen so viel Spaß. Besonders dann, wenn der eigene Name nicht auf dem Wahlzettel steht«, fuhr Obama fort.
Die Wahlnacht des 2 . November 2010 war das genaue Gegenteil: Die Demokraten verloren die Mehrheit im Repräsentantenhaus, während Dutzende Mitglieder der Tea Party gewählt worden waren. An der Spitze der Wechselstaaten Ohio, Wisconsin, Nevada, New Mexico, Pennsylvania und Michigan standen nun durchweg republikanische Gouverneure. Wählerbefragungen ergaben, dass die Demokraten zum ersten Mal seit zweiunddreißig Jahren bei der weiblichen Wählerschaft massive Einbußen erlitten hatten. Das Weiße Haus hatte eine Strategie der Schadensbegrenzung verfolgt – eine Strategie, die gründlich fehlgeschlagen war.
Michelle Obama ging an jenem Abend wie üblich früh zu Bett. (Es wäre zwecklos gewesen, länger aufzubleiben, sagte sie später.) Der Präsident blieb auf und rief sämtliche Demokraten an, die verloren hatten, eben weil er dazu aufgerufen hatte, sie zu wählen. Nur wenige gingen an ihr Handy – sie bedankten sich bei ihren Wählern oder kümmerten sich um ihre Kinder. Und so hinterließ er eine Nachricht nach der anderen:
Hier spricht Barack Obama. Es tut mir so leid. Es war ein harter Abend für die Demokraten. Ich danke Ihnen für Ihren Dienst an unserem Land. Rufen Sie mich an.
Einige wenige lud er ein:
Kommen Sie mich besuchen, damit wir uns unterhalten können.
»Manche Wahlabende machen mehr Spaß als andere«, sagte der Präsident tags darauf zu Beginn seiner Pressekonferenz. Vier Monate lang war er mit den Republikanern hart ins Gericht gegangen. Jetzt spulte er mechanisch und in dürren Worten die erneute Aufforderung zur Zusammenarbeit ab, die nicht mehr viel mit seiner ursprünglichen Ode an die überparteiliche Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft der beiden Parteien gemein hatte. »Ich freue mich darauf, mich mit Abgeordneten beider Parteien zusammenzusetzen«, sagte er. »Keine Partei hat die Weisheit für sich gepachtet.« Leidenschaftslos verteidigte er seine Gesundheitsreform. Er hatte das alles schon tausendmal erklärt.
Die wenigen Antworten auf Fragen der Journalisten klangen ebenfalls eher uninspiriert. Auf die Frage, ob er die wirtschaftlichen Nöte der Wähler aus den Augen verloren habe, setzte er zu einem Monolog über die allgemeine Verschlechterung seiner Beziehungen zur Öffentlichkeit an: »Die Leute hatten nichts an meinem Führungsstil auszusetzen, als ich ein Jahr lang in Iowa unterwegs war«, sagte er. Die Vorwürfe der Republikaner, er wirke zu fremd – zu schwarz oder zu ausländisch –, griff er zwar auf, wies sie aber im nächsten Atemzug als falsch von sich. »Die Wähler haben verstanden, dass mein Hintergrund derselbe ist wie ihrer. Ich mag einen komischen Namen haben, ich mag an verschiedenen Orten gelebt haben, aber die Werte Fleiß, Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit und Nächstenliebe, die ihre Eltern ihnen mitgegeben haben, habe auch ich von meiner Mutter und meinen Großeltern mitbekommen.« Er lese jeden Tag Briefe, in denen Bürger aus dem ganzen Land ihr Unglück schilderten. »Aber dabei filmt mich niemand.« Er gab nicht zu, dass er den Kontakt zur Bevölkerung verloren hatte, er räumte lediglich ein, dass es den
Anschein
haben könnte.
Dann gestand er etwas, wozu er sich noch nie zuvor öffentlich bekannt hatte. »Meine Beziehung zum amerikanischen Volk hat sich langsam aufgebaut und dann diesen unglaublichen Höhepunkt erreicht; aber inzwischen hat sie mehr Ecken und Kanten und ist schwieriger geworden«, sagte er. Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich, seine Mundwinkel rutschten nach unten, sein Blick senkte sich. Für Obamas Verhältnisse war dies eine ungewöhnlich offene Zurschaustellung der eigenen Verletzlichkeit. Das Bild des Präsidenten, offensichtlich am Boden zerstört und die Stirn in tiefe Falten gelegt, prangte am nächsten Tag auf den Titelseiten der Zeitungen.
Im Weißen Haus debattierten die Mitarbeiter darüber, ob Obama tatsächlich zerknirscht war oder die Emotionen nur vorgetäuscht hatte, eine Show für das Pressekorps, das genau auf solche Momente aus war. Der Präsident, so mehrere Beobachter, habe im Allgemeinen nichts Spontanes oder Verletzliches an sich. Von seinen Erinnerungen einmal
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