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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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sie sogar eine Kwan-Yin- Gnade. Was für ein Schiff haben wir uns da ausgesucht!“
    Der Ibisier bewahrte sein Schweigen und lernte alles, was er über die Länder, die die Dreizack besucht hatte, eben zu lernen vermochte. Er führte ein Notizbuch, worin er seine Karten und Tabellen eintrug und persönliche Beobachtungen verzeichnete.
    Sie waren drei Monate auf See, ohne Land gesichtet zu haben – die Navigation erfolgte mit Hilfe der Zehn Zuverlässigen Feuertauben –, als das Signal ‚Alle Mann an Deck!’ ausgeglast wurde. Binnen weniger Minuten war die gesamte Mannschaft angetreten. Von den Decks aus war noch nichts zu sehen, aber wie es hieß, hatte der Ausguck im Krähennest des Großmastes voraus etwas Merkwürdiges ausgemacht. Nach kaum einer Viertelstunde machten es auch die ersten Leute an Deck aus.
    Kiril stand neben einem drahtigen alten Mann, der für gewöhnlich das Flicken der Schiffssegel und der Decksbespannung beaufsichtigte. Die Augen des alten Seebären waren schärfer als die Kirils – er hielt seine Hand über sie und murmelte zahnlos etwas davon, das sei der Größte, den er jemals gesehen habe.
    „Was ist es?“ fragte Kiril beinahe bebend. Die See war plötzlich wieder ein sehr ungemütlicher Ort, grün und kalt und unbekannt.
    „ Untersay draken “, sagte der Segeltuchmacher.
    „Was ist denn das?“ begehrte Kiril Genaueres zu wissen. Zur gleichen Zeit hätte er auch liebend gern darauf verzichtet.
    „ Spruten. “
    „Tut mir leid, das Wort kenne ich nicht.“
    „ Ochobras, Diesbras, Dolfijn-manker. “
    Nicht viel klüger als zuvor, wandte er seinen Blick wieder dem Horizont zu und sah es. Zuerst wirkte es wie ein dickes Knäuel von dem, was die Seeleute Sargass nannten, ein Gewächs, das sich in Meeresstrudeln gleichsam zu treibenden Inseln zusammenflocht. Aber seine fleischigen, breiig weichen Ranken nahmen eine klebrige Art von Leben an, welche Kirils Nackenhaare sich sträuben ließ. Manchmal war es rosa, manchmal blau. Er bedauerte, jemals sein landumschlossenes Heim verlassen zu haben.
    „ Polypus “, sagte ein anderer Seemann, während er sich der Reling näherte, um eine bessere Sicht zu haben, und mit einem mageren braunen Finger voraus deutete. Kiril sah ihn an, und der Mann zog seine struppigen Augenbrauen hoch, wie um ihn zu drängen, es sich anzuschauen, solange er noch die Gelegenheit hatte. „Seltener Anblick!“ erklärte er. „Macht einen richtigen Seemann aus dir.“
    „Oder einen Pudding“, sagte ein anderer. Ein paar Frauen und ein junges Mädchen gesellten sich zu der Gruppe, und Kiril versuchte, sich um ihretwillen zusammenzureißen. Aber immer noch zitterte er.
    Der Polypus – ein Wort, das dem mediwewanischen Äquivalent nahe genug kam, um ihn erkennen zu lassen, daß sie von einem großen Tintenfisch sprachen – sonnte sich in aller Seelenruhe auf Backbord, kaum hundert Meter entfernt. Die Dreizack machte einen weiten Bogen um ihn. Es gehörte zum Allgemeinwissen, daß Untersay drakens wie die Treibnetze der Fischer neun Zehntel ihres Umfangs unter der Wasserlinie hielten.
    Bei Nacht wimmelte die See von schimmernden Lichtern. Dies war fürwahr der Drakens ureigenstes Reich, begriff Kiril – hundert Meilen weit nur Tintenfische und Leuchtfische und Fliegensaydrakens, die auf Deck landen und einen Menschen plattquetschen konnten, ansonsten aber harmlos waren. Dann war da noch die Möglichkeit, einem Rudel echter Seeschlangen zu begegnen, die nicht so zurückhaltend waren wie der Tintenfisch und nicht so harmlos wie die fliegenden Geschöp fe, sondern fleischfressend und bösartig und schwer zu vertreiben.
    Bar-Woten fühlte sich unliebsam eingeschüchtert, als er über die Reling starrte und in der Tiefe die Lichter vorüberziehen und aufblitzen sah. Hoch droben waren die Feuertauben im samtig schwarzen Himmel, darunter die schimmernde Suppe der Meeresoberfläche und noch tiefer drunten fluoreszierende Flecken wie Augen mit einem Durchmesser wie die Spanne seiner ausgebreiteten Arme. Die Nacht wimmelte vor sehenden und leuchtenden und unbekannten Dingen. Er hatte nie eine solche Unruhe – oder gar Furcht – gekannt wie jene, die er jetzt verspürte, nicht einmal in den schlimmsten und allererbärmlichsten Nächten des Langen Marsches.
    Aber gen Morgen war die See blau und strahlend, und die Luft war wärmer. Sie sichteten keine weiteren fleischigen Massen mehr, und bald stellte sich auch etwas vom alten Frohsinn wieder ein.
    Barthel verfolgte,

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