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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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oder Bar-Woten oder Barthel.
    Er dachte nur an den Aufstieg, an schmerzende Oberschenkel und Waden und Arme und an sein von der Kälte und dem ständigen Hinaufschauen steifes Genick. Dies ist das letzte Wegstück des Wurms, der auf Wanderschaft ging, redete er sich ein. Aber Gottes Blick war nicht helles Licht, wie man es ihn bei den Franciskanern gelehrt hatte, sondern naßkalte Wolke und Tränen.
    Der Wall weinte. Sein Kondensationsprodukt rann aufs Land hinab und bildete Flüsse. Es machte den Halt schlüpfrig, wie wenn man die Seite eines nassen Glases hinaufginge – aber da war immer die Griffigkeit der eingravierten Worte.
    Die Dünnen kletterten stetig, unermüdlich, mit einem flatternden Gang, die Arme ausgestreckt, um sich zu stützen; ihre gewandumhüllten, tuchbedeckten Vogelbeine arbeiteten wie Kolben.
    „Warum seid Ihr hierhergekommen?“ fragte er, als sie rasteten.
    „Wir sind nicht sicher, daß du verstehen würdest, Mensch“, sagte die Gestalt in Grün. „Aber vielleicht doch. Wir wollten erfahren, was uns geschah. Vor langer Zeit war alles Seligkeit und Paradies, und wir wuchsen. Wir waren alle Teile …“ Er greinte scharf. „Eines Strebens. Wir erreichten einen Höhepunkt von Schaffen und Begreifen. Dann ging alles verloren, und wir mußten vom Anfang an beginnen, mit dem Schmerz und dem Unglück der Jugend. Es ist nicht genau das Gleiche bei euch.“
    „Aber auch nicht so schrecklich anders“, sagte Kiril.
    „Vielleicht.“
    „Werden sie euch bei der Heimkehr helfen, wenn ich es nicht tue?“ Er deutete hinab zur im Nebel verborgenen Stadt tief unter ihnen.
    „Wir tauschen Hilfe gegen Wissen ein, ja.“
    „Ihr wißt, was sie mit diesem Wissen machen werden“, sagte Kiril. Die Dünnen antworteten nicht.
    Vier Kilometer. Er verankerte seinen Schlafsack mit einem Netz winziger Häkchen in den Worten der Obeliskenschrift und ruhte für die Nacht. Die Dünnen hatten ihre eigene Vorrichtung. Sie ließen sich in Schlingen von ähnlichen Haken baumeln und füllten etwas in ihren Kleidern aus den Stahlzylindern auf. Kiril schlief nicht gut.
    Im grünen Licht des Morgens kämpften sie sich wie die Geister von Bäumen durch die Wolken. Fünf Kilometer. Sechs.
    „Da ist der Eingang“, sagte die Gestalt in Schwarz. Unwillkürlich beschleunigten sie ihr Tempo, obwohl Kiril ausgepumpt war.
    Sie rasteten bei sieben Kilometern, und der Nebel verschattete die Höhle wieder.
    Am nächsten Tag betraten sie das Innere Des Walls.
    „Es ist keine Barriere da“, sagte der im grünen Gewand. „Du hast es geschafft, Pilger.“
    Ein Tunnel ohne Ende, erfüllt von warmer, trockener Lumineszenz, führte tief in Den Wall. Kiril warf seine Kletterwerkzeuge und den Großteil des Tornisterinhalts beiseite, kauerte sich dann nahe der Kante hin und musterte den Tunnel genau.
    „Wir hätten gerne, daß du weitergehst“, sagten sie ihm wartend.
    Er kam wieder hoch, nahm den fast leeren Tornister auf und ging los. Er schenkte den Nichtmenschen hinter sich keine Beachtung. Nach einer halben Stunde blieb er stehen und blickte über die Schulter zurück, um zu sehen, was sie machten.
    Der Tunnel war hinter ihm versiegelt worden. Er konnte keinen der beiden sehen. Sie hatten nicht bestanden. Er zuckte die Achseln und setzte seinen Weg fort. Voraus, so wußte er, lag Das Land, wo die Nacht ein Fluß ist.
    Er aß und schlief.
    Dann marschierte er weiter. Vor seiner nächsten Schlafpause marschierte er zehn oder elf Kilometer – oder vielleicht sogar fünfzehn, es gab keine Möglichkeit, das mit Bestimmtheit zu sagen –, und immer noch zeigte der Tunnel keinerlei besondere Merkmale.
    Aber auf dem nächsten Kilometer kam er an eine undurchlässige Barriere. Eine Stunde lang schritt er vor ihr auf und ab, und Schweiß perlte über sein Gesicht und machte sein Wams dunkel. Er war so wütend, daß er schließlich ausholte, um mit der Faust auf sie einzuschlagen. Seine Hand verschwand, und er stolperte durch die Barriere.
    In jenem Augenblick begann er die Gewaltigkeit Hegiras zu verstehen. Jenseits der nichtstofflichen Scheidewand bot sich ihm ein freier Ausblick auf Dunkelheit und Feuertauben. Er stand in einer weiten Glashalbkugel. Die Luft war schal, aber atembar. Eine hüfthohe Brüstung zog sich rings um die Basis der Kuppel. Er trat vor bis zur Kante und schaute hinaus über die Krone Des Walls. Sie war eine glatte, dunkle Ebene, die so weit reichte wie jeder nur vorstellbare Horizont auf Hegiras unterer

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