Die Obelisken von Hegira
zwei in Mediwewa, war ihnen Wegweiser und Leuchtfeuer. Nach einmonatiger Reise, die unterbrochen wurde von Besuchen der Kirchen örtlicher Diözesen zwecks Besprechungen – des Klerikers Mission –, kamen sie zu der Ortschaft, wo Kiril aufgewachsen war. Dort schieden sie voneinander. Kiril schüttelte die Hand des Mannes in der Kutte. „Geht mit Gott“, sprach er zu ihm.
Dann ging er zum Hause von Elenas Familie. Es war leer bis auf einen dünnen, müde wirkenden Diener.
„Sie sind auf ihrem Bauerngut den Sommer über“, sagte der Diener. „Sie feiern ein Wunder und eine Hochzeit.“
„Eine Hochzeit?“
„Ja! Die Lady Elena ist dem Leben zurückgegeben worden, und nun soll sie einem feinen Prälaten vermählt werden.“
Das, sagte einer der Homunkuli in seinem Innern, kommt ja nun mal gar nicht in Frage.
„Wo wird diese Hochzeit sein?“
Der Diener verriet es ihm zögernd, während er nervös mit einem Besenstiel auf den Boden trommelte. „Kenne ich Euch nicht von irgendwoher?“ fragte er.
„Ja“, sagte Kiril. „Wir sind einander vor längerer Zeit begegnet, bevor Elena –“ Er unterbrach sich mitten im Satz. „Darf keine Zeit vergeuden!“
Es gab da ein Sparkonto, das er nie angerührt hatte und das, wenngleich schmal, doch all jene Gelder umfaßte, die er während seiner Lehrjahre als Scrittori erhalten hatte. Er war froh, daß er sie nicht der Bruderschaft des Francis übereignet hatte. Er bewies seine Identität durch Unterschrift und Schlüsselwort, hob seine Barschaft ab und mietete sich eine Dampfkutsche mitsamt Fahrer.
Nahe beim Tor des Landgutes hieß er den Wagen warten und spazierte unbeobachtet zu dem Steinhaus hinüber. Dort blieb er an einem Fenster südlich der Veranda stehen und spähte auf Zehenspitzen auf der Beplankung, die rings um das Haus verlief, durch die dünnen Spitzenvorhänge ins Innere. Hineinsehen konnte er ohne Schwierigkeiten, aber nirgends war ein Zeichen von Elena. Voll heftiger Ungeduld runzelte er die Stirn und zog dann den Kopf ein, als jemand nahe beim Fenster vorbeikam. Er erkannte einige Personen im Wohnzimmer. Eine von ihnen war Lisbeth, Elenas Patentante, eine langsame, langweilige Frau, bodenständig und geradeheraus. Sie unterhielt sich gerade mit einem Mann, dessen Gesicht er nicht erkannte. Ihre Miene war lebhafter als gewöhnlich. Der Mann wirkte schläfrig; Kiril kannte die Mattigkeit wohl, die einen überfallen konnte, wenn man Lisbeth zuhörte.
Da war auch, hinter dem Paar und nahe dem Ecktisch, ein Junge, Elenas jüngster Bruder, der gerade Fadenmuster zwischen seinen Fingern wob. Er sah beinahe so aus wie der Doppelgänger, dessen Tod vor Ewigkeiten die lange Reise eingeleitet hatte.
Kiril umkreiste das Haus, immer auf der Hut, daß ihn auch ja niemand erblicke. Zorn staute sich in ihm auf bei dem Gedanken, daß ein simpler Kirchenprälat – ein gottgefälliger Mann vielleicht, fromm und unerfahren und nett – womöglich schon das gekostet haben mochte, das zu erretten er bis ans Ende der Welt gegangen war. Sein Gesicht rötete sich. Nicht einmal die Erinnerung an das ferne Golumbine, wo das Umgekehrte eingetreten war, vermochte ihn zu beruhigen. Tatsächlich stachelte sie ihn sogar zu noch größerer Entschlossenheit auf. Er hatte mehr als bloß Zeit hingegeben, um dieses Ziel zu erreichen! Er hatte den gesunden Verstand in der Liebe aufgegeben und die grundlegende Art von Befriedigung, die er hätte haben können, wäre er in Mediwewa geblieben, zufrieden mit und in seinem Leben und seiner Arbeit. Jetzt, da er wußte, was es mit der Welt auf sich hatte und was da kommen würde, mußte er so rasch wie möglich solide Fundamente legen, für sich und für andere. Andernfalls, so fürchtete er, mochten sie alle dem Wahnsinn anheimfallen.
Er trat auf die vordere Veranda und atmete tief durch. Kein Lauschen mehr. Er würde geradeheraus sein. Der Himmel verfinsterte sich bereits. In rund einer Stunde würden die Feuertauben aufgegangen sein, und wenn er bis dahin nicht gehandelt hatte, würde die Dampfkutsche abfahren und ihn bis zum Morgen gestrandet zurücklassen. Er mußte sich beeilen.
Wuchtig klopfte er gegen die hölzerne Tür. Endlose Sekunden später öffnete ein Diener, der ihn zum Glück nicht erkannte. Er sagte, er sei ein guter Freund der Familie und er würde gerne den Vater sprechen in einer wichtigen Geschäftsangelegenheit.
„Der Herr ist im Augenblick beschäftigt“, sagte der großgewachsene, müdäugige alte Mann.
Weitere Kostenlose Bücher