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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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Rollkragenpullovern und mit den weißen Kappen hockten sie auf dem Motorgehäuse und wärmten sich.
    »Die Lotsenstation«, rief Bibi.
    Cotta entdeckte den unheimlichen Dammschen See, der jedes Jahr ein halbes Dutzend Wassersportler verschlang. Das Haff sei nicht so gefährlich, hatte ihr ein Beamter auf der Stettiner Hauptpost gesagt. Ein Sachbearbeiter für Flaschenpost, meinte Bibi.
    Die Ufer traten zurück. Das Wasser schaffte sich Rippen an, und das Boot begann zu holpern.
    »Ist das noch die Oder?« fragte Bibi.
    Sie war es noch, aber hier nannte man sie das Papenwasser.
    »Es wird so unterelbisch«, meinte Cotta.
    Lautlos schwamm uns ein Dampfer entgegen, ein alter Riese mit dem Bremer Schlüssel am Bug. »Sirius« hieß er. Der hatte größere Häfen gesehen. Jetzt fuhr er das Gnadenbrot nach Stettin. Und die Kommerzienräte, die ihn einst auf Kiel gelegt hatten, ruhten wohl längst in ihren Familiengrüften.
    Man sah, wie der Steward eine Kanne auf die Kommandobrücke trug.
    »Es scheint die Kaffeezeit für Kapitäne zu sein«, murmelte ich anzüglich.
    »Ay, ay, Sir«, sagte Bibi. Sie stellte den Wasserkessel auf.
    »Na, das gibt was« meinte Cotta, als sie sah, wie Bibi auf schwankender Grundlage mit dem Spiritus hantierte. »Haben wir einen Feuerlöscher?«
    »Nein, aber ein Merkblatt für den Brandfall.« Herr Pustekohl hatte es mit Reißnägeln an den Schrank geheftet. Es mußte aus einer binnenländischen Mottenkiste stammen. Darauf stand nämlich: »In Brand geratene Personen sollen sich an Ort und Stelle wälzen.«
    »Vor Lachen«, sagte Bibi.
    Nach dem Kaffee gab ich Cotta das Rad und stieg mit Bibi aufs Dach, um Ausschau nach dem Haff zu halten.
    Eben brach die Sonne durch den Perlmutthimmel und schüttete Glanz auf das stumpfe Wasser. Es war ein Augenblick zum Jubeln. Alles, was weiß auf dem Boot war, die Reling, der Rettungsring und Bibis Kappe, alles leuchtete auf.
    »Das Haff«, meldete Bibi.
    Der Vordergrund schob sich auseinander. Da lag das Haff, hinter einem Strahlenbündel Sonne, grau in grau, getupft von weißem Schaum. So konnte der Atlantik nicht vor den Wikingern gelegen haben.
    Cotta rief nach Ablösung. Jetzt gab es Wellen, und die taten ihr in den Händen weh.
    Bibi wußte sich kaum zu fassen. Das Haff sah so nach Ostsee aus. Cotta erläuterte ihr die Geographie. Das Mündungsbecken der Oder, begrenzt von Usedom und Wollin.
    »Begrenzt?« fragte Bibi enttäuscht.
    Aber da kam die erste große Welle, rums — die Tür vom Geschirrschrank flog auf. »Guten Tag«, sagte Cotta. Das galt dem Obstkuchen und einer Tüte mit Reis. Von nun an kannten wir das Boot nicht mehr. Es hatte so viele Schrägen.
    »Wir müssen uns eine neue Stehtechnik zulegen«, sagte Bibi.
    Sprechtechnik auch. Es war ein ziemliches Rauschen von Wind und Wasser um uns her. Der Bug schlug in die kleinen Wellenkratzer und spießte die nächste Welle auf, daß die Spanten ächzten. Plötzlich gab es einen Knacks. Eine Scheibe sprang entzwei.
    Durchaus logisch, denn der Wellengang dehnte und drückte den Rumpf, so daß sich der Aufbau verschob. Pustekohls Kahn war kein Seefahrer.
    Und wie sah der Himmel aus? Das Angebot an Wolken war beträchtlich. Wir hatten die Meteorologie nicht befragt und tuckerten sozusagen auf blauen Dunst. Von Umkehren wollten Cotta und Bibi nichts hören.
    »Da kommt schon ein Bäderdampfer. Und dort sind Segelboote. Wir sind ja nicht allein...«
    »Und da ist die Fahrrinne für Seeschiffe, markiert von Leuchttürmen!«
    Als ob die uns hätten helfen können! Doch ich war schwach. Es gab ein Fontanesches Gedicht, in Abwandlung so: »Mein lieber Freund, wolle nicht auf die Seefahrt gehn — das Unglück ist nah, und die Mädchen sind da, und du kannst nicht widerstehn.«
    Ich konnte nicht widerstehen. Bibi und Cotta gerieten in einen Freudenrausch, als die Ufer immer weiter zurückblieben. Rings um uns her war nichts als Wasser. Drüben zog der Bäderdampfer ruhig seine Bahn. Wir aber stampften und schlingerten. Das Wasser spritzte an die Fenster. Durch die Türen wehte Seewind und riß mir die Mütze vom Kopf. Bibi und Cotta kreischten wie die Möwen. Meldeten Neuigkeiten: eine Boje; das Seebad Ziegenort; einen Dampfer; ein Segelboot.
    Ich stand mit meinen Sorgen allein. Der Motor lief. Aber der Wind drückte. Der Wind wurde stärker, aber der Motor nicht.
    Wir kamen nur langsam voran. Die Sonne verschwand, trotzdem leuchteten die Schaumkronen unheimlich weiß. Die Wellen waren kurz, aber

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