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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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habe? Wegen der langen Fehlzeit? Und sich nicht getraut habe, das in die Kündigung zu schreiben, weil man befürchtete, damit nicht durchzukommen?
    »Die wollten mir was.«
    Wer die ?
    Die anderen.
    Welche anderen ?
    Die Neuen.
    Welche Neuen?
    »Na die vom Reifenservice. So Junge eben. Die man vorher nicht kannte. Die waren komisch. Haben nicht gegrüßt morgens und so.«
    Aber das könne doch dem Chef egal sein?
    Den Chef kenne er nicht. Der säße immer in seinem Büro. Nur einmal habe er ihn gesehen, da sei er über den Platz gelaufen und habe mit dem Meister gesprochen. Der Meister sei sein eigentlicher Chef gewesen, von dem habe er, Kurbjuweit, alle Weisungen bekommen. Auch der Meister habe ihn nicht gegrüßt.
    Und was hätten die ihm gewollt?
    »Mich loswerden, was sonst?«
    Warum?
    Schulterzucken. »Bestimmt war einer von den Neuen scharf auf meinen Job. Das dürfen die gar nicht. Mit denen sollte man mal was machen«, murmelte Kurbjuweit.
    »Wie meinen Sie das?« Schlüter hasste unkonkretes Daherreden.
    »Na ja. Aus meiner Sicht ist das Sünde. Wenn man einem den Arbeitsplatz nicht gönnt. Und den selber haben will. So was macht man nicht. Das steht in den zehn Geboten.«
    Es glitzerte in Kurbjuweits Augen.
    »In der Kirche«, winkte Schlüter ab. »Im Gesetz nicht.«
    »Trotzdem«, beharrte Kurbjuweit. »Man müsste mal was mit denen machen.«
    Ich sollte endlich aufhören, Leute zu belehren, dachte Schlüter, ich bin Rechtsberater, kein Lebensberater, schon gar nicht in Religionsfragen, und ihm fiel seine Konfirmationszeit ein und der Kommentar des Herrn Luther zu den zehn Geboten, den sie auswendig lernen mussten wie andere den Koran, und wer es schaffte, war ein gutes Schäfchen, und dann wurde er konkret: Wenn Kurbjuweit seinen Arbeitsplatz behalten wolle, müsse er bis übernächste Woche Freitag Kündigungsschutzklage erheben. Dann müsse der Arbeitgeber dem Gericht die betrieblichen Gründe erklären. Und das sei so ziemlich das Schwierigste im Arbeitsrecht.
    »Aber ob da was bei rauskommt?«
    Der Hellseher war gefragt. Aber Schlüter war kein Hellseher. Er war nur Jurist. Wenn er, Kurbjuweit, keine Einzelheiten über den Betrieb und die Kollegen wisse, dann müsse man das Risiko eingehen.
    »Ich denk, Sie sind Fachmann.«
    Ob man Kündigungsschutzklage einreichen solle oder nicht, fragte Schlüter zurück.
    »Versuchen können wir das ja. Aber ob das Zweck hat?«
    Schlüter zog eine Vollmacht und ein Prozesskostenhilfeformular aus dem Schreibtisch, ließ sich beides unterschreiben und beendete das Gespräch, nachdem er Kurbjuweit das Versprechen abgenommen hatte, die Krankengeldabrechnung zu schicken.
    Kurbjuweit, der Frosch mit den Habichtsaugen, erhob sich, Schmerzen im Gesicht. Er verzichtete auf den Handschlag und drehte Schlüter seinen breiten Hintern zu, der in einer gewaltigen Jeans steckte.
    Als er allein war, stieß Schlüter beide Flügel seines Fensters auf, eilte ins Wartezimmer, lüftete auch dort und flüchtete in die Küche, um sich endlich den verdienten Tee zu kochen.
    Als er sich später wieder an den Schreibtisch setzte, um die neue Sache abzudiktieren, fiel ihm Kurbjuweits Bemerkung wieder ein: Man sollte mit denen mal was machen. Zwei Mal hatte der Froschaugenmann das gesagt. Was, zum Teufel, meinte er damit? Und wieso hatte er, Schlüter, nicht auf Antwort bestanden?

7. Kapitel
     
    In dem wir lesen, wie Horst Kurbjuweit die Welt sieht und
Kevin ihn über grundlegende Tatsachen des Lebens aufklärt
     
    Horschi Kurbjuweit zieht den Karton mit den Lebensmitteln, die Edeka geliefert hat, unter Schmerzen über die Schwelle in den Flur. Er kann nicht mehr einkaufen, schwere Tüten tragen. Die verdammten Reifen, die er immer hat schleppen müssen, haben ihm die Bandscheiben verdorben. Viele Ärzte haben ihn behandelt, zuletzt die in Debstedt, aber keiner der Herren in Weiß hat ihn operieren wollen. Sie haben ihn untersucht, einer hat ihm Spritzen gegeben, ein anderer ein Korsett verschrieben, der dritte wieder davon abgeraten und Sport empfohlen, der vierte verlangte, Kurbjuweit solle abnehmen; alle haben sie ihre fetten Honorare eingestrichen und ihn dazu verurteilt, den Rest des Lebens im Schmerz zu verbringen. Halsabschneider und Totengräber, allesamt. Wie sollte er, Horst Kurbjuweit, abnehmen, bitte sehr? Sollte er noch weniger essen? Wie sollte er die teuren Diätsachen von zweihundert Mark im Monat bezahlen? Magda hat geschrieben, er solle sich doch mal Nudeln kochen.

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