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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Küchentisches, schmiert und isst seine Brote, während die Sechs-Uhr-Tagesschau läuft, sie sind mit dem Spaceshuttle unterwegs. Den Fernseher hat er auf die Anrichte gestellt, so, dass er mit einem Blick auch den Spiegel am Fenster und damit den Laubengang unter Kontrolle hat. Sieben Scheiben, dazu zwei Liter Milch. Das Brot ist schon wieder verschimmelt, er sollte nicht so viel auf einmal kaufen, es ist durchsetzt mit grünen Flecken, aber er wirft es nicht weg, er schneidet das Schlechte heraus, denn das ist das Wichtigste, was er von Vater gelernt hat: dass man niemals etwas, was man noch essen kann, in den Abfall werfen darf. Kurbjuweit trinkt jeden Tag sechs Liter Milch. Milch ist gesund, hat Mutter immer gesagt, und deshalb trinkt er sie, aber er kann sich keine frische Milch leisten und lässt sich deshalb H-Milch bringen.
    An Bord sind fünf Amerikaner und ein Russe. Was die da oben wollen? Was das für Geld kostet! Was sollte das bringen? Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren wegen Barschel eingestellt. Was legt der sich auch in die Badewanne? Er, Kurbjuweit, hat gar keine. Nur eine Dusche, ohne Kabine, das Wasser spritzt immer auf das Klo. Es macht keinen Spaß, Nachrichten zu sehen. Sie gingen einen nichts an. Sie halfen einem nicht weiter.
    Kurbjuweit steht schwerfällig auf, legt Brett und Besteck in die Spüle, räumt die Esssachen fort und macht den Fernseher aus, während er einen Routineblick in den Spiegel wirft. Er muss sich ausruhen. In seinem Rücken steckt ein Bohrer und drehte sich langsam ins Mark, der Schmerz schickt seine Feuerzungen ins rechte Bein hinunter. Das Schlafzimmer am Laubengang, sein Schlafzimmer, empfängt ihn mit Dämmerlicht und abgestandener Luft. Das Fenster öffnet er nie und die Jalousie bleibt immer geschlossen, sogar wenn der Mittsommer kommt, wenn die Poren sich öffnen und die Lunge tief durchatmen will. Im Schlafzimmer ist die Luft alt und grau, immer gleich, und genau so will er es haben, es soll keine Veränderungen geben. Stöhnend sinkt er auf das Bett und streckt sich aus. Sein riesiger Bauch hebt und senkt sich atmend und sogleich muss er an Frauen denken, doch er kann nicht an Frauen denken, ohne an Anita zu denken. Vier Jahre sind sie zusammen gewesen, die Wochentage hat er bei Mutter verbracht, die Nächte und Wochenenden bei Anita. Zuerst waren es ihre Kinder, die immer frecher zu ihm geworden sind, daran hätte er merken müssen, dass etwas nicht stimmte, dass sich das Gleichgewicht verändert hatte, dass er ein Eindringling war. Anita redete schlecht über ihn und machte die Kinder zu Verbündeten gegen ihn, denn sie sind plötzlich frech geworden und haben ihn angefeixt. Das ist ihm erst klar geworden, nachdem sich Anita von ihm getrennt hatte. »Brauchst nicht wiederkommen«, hat sie gesagt das letzte Mal, als er dort gewesen ist. So einfach war das, von einem Tag auf den andern. Brauchst nicht wiederkommen. Behandelte man einen Menschen wie ein zerschlissenes Möbel, das man auf den Sperrmüll warf?
    Vier Jahre lang war er gut genug gewesen für die Arbeit, er hat ihr geholfen bei Haus und Hof, die Maschinen hat er repariert nach Feierabend und den Zaun, Rasen gemäht, die Schafe versorgt, die Rinder gefüttert, Heu gemacht, Silo vom Nachbarn geholt. Die Waschmaschine, die er in Ordnung gebracht hat, lief bestimmt heute noch. Was die Frau an Geld gespart hat! Sogar gepflastert hat er, das krumme Pflaster vor der Haustür aufgenommen und neue Platten verlegt. Mit dem Rücken! Und das, obwohl sie ihn im letzten Jahr kaum noch rangelassen hat, das konnte er an einer Hand abzählen. Verfluchtes Weib!
    Mutter hat sich gefreut über die Trennung, eine ihrer letzten Freuden, denn mit dem Alkohol sei es zu viel geworden. »Du hast schon wieder mitgetrunken, Horschi«, hört er sie sagen, sie beschwerte sich über seine Fahne. »Die ist nichts für dich, Jung«, sagte sie, gleich damals, als er Anita kennengelernt hatte auf dem Schützenfest. Am dritten Wochenende im Juli war immer Schützenfest und er war immer dabei, in Schützenuniform. Nachdem er nicht mehr der Kleine war, wurde er der Jung. Ein Horst ist aus ihm nie geworden. Anita, die ein paar Jahre älter ist als er, hat ihn auch immer nur Horschi genannt.
    »Horschi! Kannst du mal die Rinder füttern! Ist schon nach acht! Horschi, geh mal nach die Schafe gucken, die sind ausgebrochen.« Und so weiter.
    Ein Klingeln unterbricht seine Gedanken. Wer mag das sein? Wer wollte etwas von ihm? Die

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