Die Oder Ich
Kurbjuweit einen Geländewagen wie der von Rathjens. Kurbjuweit stößt ein Grunzen aus. Er verharrt auf der Stufe. Seine linke Hand öffnet die Plastiktüte, seine rechte Hand fährt hinein und umschließt den Griff der Red Nine. Er atmet tief ein, langsam wieder aus. Er ist jetzt ganz ruhig. Sie können kommen. Er ist einsatzbereit.
Die Scheinwerfer fressen sich gelb in die Schwärze der Nacht. Das Auto wird langsam. Durch das Riffelglas in der Haustür kann Kurbjuweit nichts erkennen. Das Auto fährt am Haus vorbei. Kurbjuweit schiebt die Haustür einen Spalt auf. HEM R liest er, die Zahl kann er nicht mehr erkennen. Rathjens, der Höllenhund! Der Wagen bleibt stehen. Die Heckscheinwerfer leuchten auf, das Fahrzeug rollt rückwärts auf den Parkplatz vor dem Nachbarblock und wendet, fährt zurück. Nähert sich, stoppt. Der Motor stirbt. Kurbjuweit hält den Atem an. In seinem Kopf fängt es an zu rauschen, er kneift die Augen zusammen. Seine Hand fährt in die Plastiktüte, umklammert den Griff der Red Nine und zieht sie hervor. Jetzt hört er zwei Türen, die sich öffnen, Männer, die sich unterhalten. Kurbjuweit nimmt allen Mut zusammen, schiebt die Tür mit dem Ellbogen auf und späht durch den Spalt. Zwei Personen machen sich an der geöffneten Heckklappe des Geländewagens zu schaffen. Sie holen etwas heraus, etwas großes Schweres, denn er hört die Männer ächzen. Kurbjuweit lässt die Haustür ins Schloss gleiten, zieht den Schlüssel aus der Hosentasche und schließt ab. Jetzt kann er nicht mehr sehen, was draußen vor sich geht. Es ist dunkel. Er kann nicht erkennen, ob die Leute auf das Haus zukommen. Sicher tun sie das, denn warum sonst parken sie auf diesem Parkplatz, der zu Kurbjuweits Wohnblock gehört?
Kurbjuweit geht rückwärts zur Treppe, die Pistole im Anschlag. Er stößt mit den Hacken an die unterste Stufe, es geht nur nach oben, es sind nur zwei Mal zwölf Stufen bis zur Tür in den Laubengang, das muss er schaffen.
Der Schmerz schlägt ihm eine Pranke in den Rücken, er raubt Kurbjuweit den Atem, er keucht und zieht sich mit der Linken am Geländer hoch. Unten im Schloss knirscht es, ihm wird schwindlig, und doch muss er rückwärtsgehen, sonst kann er sich nicht verteidigen; seine Rechte umklammert den Griff der Pistole, richtet den Lauf treppabwärts, er hat das Podest erreicht, während er von unten Stimmen hört, gedämpfte Stimmen, flüsternde Stimmen, er hört seinen Namen. Kurbjuweit, sagen sie, er hat noch vier Stufen bis zum ersten Stock, bis zu seiner Tür, eine von den Stimmen klingt wie die von Rathjens, aber er hat ihn noch nie flüstern gehört. Rathjens schreit sonst immer, die andere ist auch eine Männerstimme, die genauso klingt, wie wenn die Stachowiaks reden, eine polnische Stimme also, Kurbjuweit ist jetzt an der Laubengangtür, er schiebt sie auf und im Treppenhaus ist es immer noch dunkel, sie machen das Licht nicht an, sie schleichen und flüstern, sie wollen etwas Verbotenes tun, wozu sonst schleichen sie im Dunkel hinter ihm her?
Jetzt hat er es zu seinem Laubengang geschafft, drückt die Tür in die Füllung, mit einer Hand, er kann sie nicht abschließen, denn dazu muss er die Pistole ablegen, weil er den anderen Schlüssel in die Plastiktüte gelegt hat, und er darf ihn nicht mit dem für die Hauseingangstür verwechseln, das war ein Fehler, ein fürchterlicher Fehler, denn er findet den Schlüssel nicht mit einer Hand, er braucht beide Hände, um nach ihm zu tasten, das darf ihm nie wieder passieren, er muss doch schneller sein, schneller als die anderen, das darf nie wieder, ich muss den Schlüssel immer …, denkt er, während er neben der Laubengangtür steht, die Pistole am ausgestreckten Arm. Zwei fette Schatten auf der anderen Seite passieren die Tür, die Männer lachen jetzt, gerade jetzt, wo sie an ihm vorbeigehen, sie steigen nach oben, er hört sie schlurfen und schleifen, das ist doch das Geräusch, das er nachts immer hört. Sie entfernen sich langsam, wie unter schwerer Last, während ihre Stimmen sich verlieren.
Kurbjuweit hängt die Plastiktüte an den Daumen, findet endlich den richtigen Schlüssel und schließt ab. Zieht den Schlüssel wieder aus dem Schloss.
Fehlalarm. Wieder nur ein Fehlalarm. Oder nicht? Sie wollen ihn testen. Aber er wird sich nicht einlullen lassen. Er wird auf der Hut bleiben.
Kurz darauf sitzt er in der Küche am Tisch. Er hat ein Blatt Papier zerteilt und schreibt:
Im Unglück und der Gefahr zeigt sich der
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