Die Oder Ich
auszieht. Alles kommt zusammen. Kurbjuweit hat Schlüter einen Brief geschrieben, schon vor drei Wochen. Aber nichts war passiert! Man muss doch etwas hören! Ein Rechtsanwalt muss seine Mandanten ernst nehmen! Und jetzt fällt Kurbjuweit der Satz ein, den der Stachowiak einmal gesagt hat, vor langen Monaten: dass man sich einen Rechtsanwalt genommen habe, wegen der Rente, die immer noch nicht durch sei. Kurbjuweit stößt einen Pfiff aus und einen leisen Fluch, er flüstert, nur er selbst kann es hören. Steckte dieser Rechtsanwalt mit denen unter einer Decke? Konnte es anders sein?
Man ist allein, wenn es darauf ankommt. Man kann nicht auf Hilfe vertrauen. Man muss die Dinge allein in die Hand nehmen. Und man muss den Leuten zeigen, dass man ernst zu nehmen ist!
Die Plastiktüte mit der Red Nine in der linken Hand, steht Kurbjuweit am Geländer und schnuppert in den nassen Spätwinter. Es liegt der Geruch von altem Laub und Matsch in der Luft, von Moder und Tod. Ein Nieselregen weht im Licht der Straßenlaterne wie ein gelber Schleier.
Kurbjuweit legt die Strecke zur Laubengangtür zurück. Es sind genau elf Schritte, er hat sie oft gezählt. Er geht an der Wohnungstür des Holzbearbeiters vorbei. Darin scheint kein Licht, das Oberlicht ist dunkel, der Nachbar ist unterwegs, er hat eine Freundin und tagsüber ist er auf Arbeitssuche. Er will eine Stelle im Sicherheitsgewerbe. Darauf ist er bestens vorbereitet, denn er hat sich schon eine Umiform zugelegt, einen schwarzen gebügelten Anzug, dessen Brusttaschen er herunterklappen kann, und dann steht security zwischen zwei reflektierenden Streifen auf seiner Brust. Auf dem Rücken hat der Anzug auch so eine Klappe, sie ist viel größer, über den ganzen Rücken, und auch die Buchstaben sind dort größer. Die Verwandlung vom Bürger zum Sicherheitsfachmann dauert nur eine halbe Minute. »Das wär auch was für dich«, hat der Holzbearbeiter zu Kurbjuweit gesagt bei ihrer letzten Begegnung. »Nur müsstest du etwas abnehmen, sonst bist du nicht fit genug. Das ist der Knusus Kaktus.« Der Holzbearbeiter lebt auch allein. Er trainiert jeden Tag, auch er, nur anders. Sechzig Liegestütze und hundert Sitzapps. Das kann Kurbjuweit nicht, wegen seines Rückens, deshalb kann er nicht abnehmen und deshalb ist das Sicherheitsgewerbe auch nichts für ihn.
Vor ein paar Wochen hätte der Holzbearbeiter es fast geschafft. Er sollte ein Schiff bewachen im Industriehafen im Hemmstedter Außendeich, wo die vielen Lichter die Sterne auslöschen. Man hatte ihm befohlen, die ganze Nacht in einem Häuschen zu stehen, das nicht größer als eine Telefonzelle war. Nach drei Stunden war der Holzbearbeiter eingeschlafen und umgefallen und man hatte ihm fristlos gekündigt. Wegen Unzuverlässigkeit. Er sei ja noch in der Probezeit gewesen, hatte er berichtet, streng genommen war es sein erster Arbeitstag. Doch der Holzbearbeiter gibt nicht auf. »Ich habe noch ein paar andere Aktien im Feuer«, sagt er. Mit der Sprache hat er es nicht so. Da ist Kurbjuweit mit seiner mittleren Reife besser dran. Er ist Lagerfacharbeiter.
Aber der Holzbearbeiter ist kein Schlechter, obwohl er dumm ist. Kurbjuweit hat ihn einmal gefragt, was ein Holzbearbeiter sei. Da hat der Holzbearbeiter gesagt, das sei das gleiche wie Tischler, bloß nicht mit so viel Theorie.
Der Holzbearbeiter ist auch für Ordnung im Haus, das ist die Hauptsache. Kurbjuweit hat verlangt, die Tür müsse immer verschlossen sein, schon wegen des Gesindels im Haus, das ziehe anderes nach sich. Der Holzbearbeiter hat zugestimmt. Er macht zwischen Beruf und Privatleben keinen Unterschied.
Und doch ist die Tür zum Treppenhaus offen. Der Holzbearbeiter hat sie bestimmt abgeschlossen. Er hat es versprochen. Kurbjuweit schiebt die Aluminiumtür auf, dreht sich ins Treppenhaus und lässt die Tür geräuschlos zurück in die Füllung gleiten. Er horcht nach oben. Er überlegt, ob er die Türen zum zweiten und dritten Stock kontrollieren soll. Im dritten Stock wohnen die Berishas aus dem Kosovo, gleich in zwei Wohnungen nebeneinander, weil sie so viele sind. Kevin sagt, sie seien zu acht. Kurbjuweit beschließt, die Kontrolle der oberen Türen aufzuschieben. Er muss noch üben, sich an die Gefahr gewöhnen.
Langsam steigt er die Treppe hinab. Ein Licht scheint durch die Glasbausteine in der Wand zur Straße. Ein Auto kommt. Es fährt langsam. Vor dem Block bleibt es stehen. Der Motor läuft. Aus dem Fenster am Treppenabsatz erkennt
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