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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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sorgen, dass die Türen abgeschlossen sind. Wie soll man in diesem Haus sicher und ruhig wohnen können, wenn niemand darauf achtet, ob Haus- und Laubengangtür in der Nacht abgeschlossen sind und sich Gesindel im Haus herumtreiben kann? Der Lärm aus der Polackenwohnung war schlimm genug. Seitdem aber die Gemeindeverwaltung die Familie aus dem Kosovo im dritten Stock einquartiert hat, ist es unerträglich geworden. Getrappel im Treppenhaus, Türenschlagen, fremdländisches Geschrei, von früh bis spät. Dunkle unbekannte Gesichter tauchen auf Kurbjuweits Laubengang auf, schleichen herum, horchen. Die Gemeindeverwaltung bedient sich sogar dieser Flüchtlinge, um ihn aus der Wohnung zu vertreiben. Aber er wird widerstehen
    Horst Kurbjuweit zieht sich seine Jacke an, eine fleckige Windjacke, die an der Garderobe im Flur hängt. Entschlossen stößt er seine Arme in die Ärmel. Er hat eine passende Plastiktüte für seine Red Nine. Kevin hat sie mitgebracht. Auf Kevin kann er vertrauen. Ob es richtig war, ihm den Spruch der schwarzen Hexe zu geben? Die Plastiktüte hat einen Griff, den man blitzschnell öffnen kann, um die Waffe herauszuziehen. Kurbjuweit hat alte Lappen in die Plastiktüte gesteckt, ein zerrissenes Hemd, das er nicht mehr braucht, und den Lauf der Waffe hineingeschoben.
    Kurbjuweit steht vor dem Spiegel im Flur an der Garderobe und sieht sich an. Er sieht einen dicken Mann mit nikotinfarbenem Gesicht, die vorstehenden Augen blicken trübe. Er grinst, aber seine Zähne stehen auseinander, sie sind gelb und hässlich, er macht den Mund schnell wieder zu. Er sieht nicht schön aus. Er sieht nicht wie ein Held aus. Aber Helden erkennt man nicht. Sie tragen keinen Heldenstempel auf der Stirn. Helden müssen nicht gut aussehen, schlank sein, erfolgreich, Freunde haben, eine Familie, eine schöne Frau. Einen Helden erkennt man erst an seinen Taten.
    Er ist nicht groß, doch viele Männer sind kleiner als er. Er ist dick, aber es gibt noch dickere. Rathjens ist dicker. Er war früher schon dick und ist noch dicker geworden. Kurbjuweit hat ihn gesehen, am Mittwochnachmittag vor zwei Wochen, um fünf Uhr sechsundzwanzig. Als er auf dem Laubengang gestanden und Kevin den Karton mit dem Einkauf abgenommen hat, hörte Kurbjuweit ein Auto, das unten vorfuhr und eine Stimme, die er kannte. Er beugte sich über das Geländer und sah Rathjens dickes Gesicht, wie es aus dem Fenster eines Geländewagens hing wie eine rosa Laterne. Rathjens unterhielt sich mit einem Halbwüchsigen, der neben seinem Fahrrad stand. Der Halbwüchsige sagte ein paar Worte und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf etwas, das oberhalb von Kurbjuweit im zweiten Stock sein musste.
    »He, Kurbjuhu, hier steckst du also! Lange nicht gesehen!«
    Kurbjuweit war zurückgewichen, als habe er einen Stoß vor die Brust bekommen.
    »Wie hat er dich genannt?«, fragte Kevin.
    »Halt die Klappe und gib her!«
    Rathjens weiß also, wo Kurbjuweit wohnt. Und er hat etwas gesucht, was oben im Haus ist. Oben sind die aus dem Kosovo und die Stachowiaks. Rathjens ist ein gerissener Hund. Er würde öfter kommen, sicher, er hat es auf ihn, Kurbjuweit, abgesehen. Schon immer. Genau wie die Stachowiaks. Es gibt keinen Zweifel: Rathjens hat sich mit den Polacken zusammengetan. Er ist nicht damit zufrieden, Kurbjuweit aus dem Schützenverein vertrieben zu haben. Eine schlimme Erkenntnis.
    Aber Kurbjuweit hat beschlossen, nicht noch einmal vor diesem Mann zurückzuweichen. Er wird überhaupt nicht mehr zurückweichen. Er will sein Leben so führen, wie er es will. Darauf hat er ein Recht. Und er hat sich vorgenommen, für Ordnung im Haus zu sorgen. Zuerst muss man für Ordnung sorgen und Ordnung beginnt mit abgeschlossenen Türen.
    Kurbjuweit richtet sich auf, sein Rücken ist heute gar nicht so schlecht. Ihm fällt auf, dass der Rücken in letzter Zeit besser geworden ist. Als sei er dankbar dafür, dass Beschlüsse gefasst worden sind. Kurbjuweit öffnet die Haustür, bleibt eine Weile stehen, um sich an die Dunkelheit und die schnellen Bewegungen zu gewöhnen. Das Außenlicht auf dem Laubengang funktioniert immer noch nicht, die Straßenlampe stanzt einen Lichtkegel aus der Finsternis, in der er steht. Wahrscheinlich brauchte man nur eine neue Birne einzusetzen. Doch die Hausverwaltung kümmert sich nicht, auch der neue Eigentümer will nur Geld aus dem Haus, ein kleines Licht interessiert ihn nicht, und er, Kurbjuweit, soll ausziehen. Die Gemeinde will auch, dass er

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