Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
regieren. Sonst hätte sie einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung riskiert. 1921 setzten die Siegermächte den von Deutschland zu leistenden Schadenersatz auf 132 Milliarden Goldmark fest. Die Reparationen sollten in Dollar-Jahresraten |114| über mehrere Jahrzehnte gezahlt werden. Aber schon die erste Rate konnte die Regierung nur aufbringen, indem sie Geld druckte und es anschließend an den Devisenmärkten gegen Dollar verkaufte. Sofort fiel der Wechselkurs der Mark gegenüber dem Dollar und dem Sterling. Der Todeslauf der deutschen Währung begann. Die Preise schossen in die Höhe, Importwaren wurden schnell unbezahlbar. 1922 lag die Inflationsrate bei 1300 Prozent. Als im Juni dieses Jahres in Berlin der Reichsaußenminister Walther Rathenau auf offener Straße erschossen wurde, war der Rest des Vertrauens in die deutsche Politik und die deutsche Währung zerstört. In Deutschland und anderswo tauschten Sparer und Anleger ihre Mark-Guthaben in stabile Währungen um.
Auch bei der Firma Oetker in Bielefeld spielten sich turbulente Szenen ab. Im Juni 1923 kostete ein Päckchen Backpulver über 1000 Mark. »Unsere Kunden kamen mit Waschkörben von Papiergeld angefahren«, heißt es im Bericht eines Mitarbeiters. »Nun musste dieses Papiergeld gezählt und zur Bank gebracht werden, um es in Goldvaluten umzuwandeln. Auf dem Weg zur Bank hatte es aber schon wieder den größten Teil seines Wertes eingebüßt.« Das Unternehmen musste für einen Teil seiner Rohwaren mit harten US-Dollars bezahlen, nahm aber selbst nur stark entwertetes Geld ein. »So war unsere ganze Arbeit in jenen Wochen und Monaten nichts anderes als ein grandioser Ausverkauf zu Schleuderpreisen, wobei die Substanz in rapider Weise dahinschwand«, erinnerte sich ein leitender Oetker-Mitarbeiter später.
Aber die Inflation bot auch Chancen. Viele Spekulanten nutzten die Gelegenheiten, die ihnen das Währungsdrama verschaffte. Gerissene Börsenhaie wie Hugo Stinnes, Friedrich Flick und Otto Wolff kauften in kurzer Zeit Hunderte von Firmen zusammen. Das Prinzip war einfach: Man erwarb Unternehmen oder andere Sachwerte mit Hilfe von Bankkrediten und zahlte diese später mit entwertetem Geld zurück. In der Praxis war das natürlich schwieriger. Denn niemand konnte genau wissen, wie lange die Inflation fortschreiten würde. Die Reichsbank intervenierte von Zeit zu Zeit und es gelang ihr bisweilen, die Geldentwertung zu bremsen und den Wechselkurs der Mark zu stabilisieren.
|115| An dem Tag, als Richard Kaselowsky den Vertrag mit der Chemischen Fabrik Goldenberg abschloss, war wieder einmal so etwas Unvorhergesehenes passiert. Die Mark hatte sich in ihrem Wechselkurs zum Dollar deutlich verbessert. Das hatten auch die Herren der Chemischen Fabrik Goldenberg sorgfältig registriert und daraus geschlossen, dass die Inflation nun gestoppt werden würde. In diesem Fall würde die Firma Oetker durch die neuen Verpflichtungen erdrückt werden. Eine feindliche Übernahme des Unternehmens wäre dann ein leichtes Spiel.
Doch es kam anders. Der Verfall der deutschen Währung setzte sich nach einer kurzen Pause noch rasanter fort. Den Nutzen daraus hatten Kaselowsky und die Seinen. Die Firma Oetker musste nun real erheblich weniger Geld für die Rohstoffe bezahlen, als ursprünglich erwartet worden war. Während das Bielefelder Unternehmen seine Preise für Backpulver und Puddingpulver in immer größeren Stufen erhöhte, konnte es einen Teil seiner Zutaten nun mit nahezu wertlosem Papiergeld bezahlen.
In einer Firmenchronik, die im Jahr 1941 erschien, wurde der Kampf aus Sicht der Familie Oetker nacherzählt. Die jüdischen Namen der früheren Gegner und Geschäftspartner mochte man zu dieser Zeit nicht einmal mehr nennen, die Chemische Fabrik Goldenberg wurde in dem Buch als »Firma X« bezeichnet und ihr Aufsichtsratschef hieß »Dr. Y.«. Dieser habe mit der damaligen Vereinbarung versucht, Richard Kaselowsky auszutricksen, lautete der Tenor der Darstellung. »Wie die Inhaber der Firma Dr. August Oetker später erfuhren, hatte Herr Dr. Y. geglaubt, mit diesem Abkommen eine besonders feste Schlinge um den Hals der Firma Oetker legen zu können.« Aber die Bielefelder Strategen, die ihr Glück auf den Fortgang der Inflation gesetzt hatten, hatten den besseren Riecher bewiesen. Die Geldentwertung hatte sich beschleunigt, statt eingedämmt zu werden. »Neidischen Auges musste nur Dr. Y. sehen, wie seine schöne Schlinge unbrauchbar wurde und die Lage der
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