Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
und Größe an sich schon bewundert, ohne nach ihrem Sinn und ihren Folgen zu fragen, der kann der Leistung Rudolf-August Oetkers seine Anerkennung nicht versagen. Wer dagegen nach dem volkswirtschaftlichen Sinn und der gesellschaftspolitischen Problematik privater wirtschaftlicher Macht- und Vermögenskonzentration sucht – deren Entstehen dazu noch aus öffentlichen Mitteln tatkräftig gefördert wurde – wird Oetkers Sammlerfleiß anders beurteilen.«
Während Oetker in der Unternehmenswelt ein großes Rad drehte, blieb er auf anderen Feldern kleinlich und geizig. Wie viele erfolgreiche Unternehmer hatte Rudolf-August Oetker ein zwiespältiges Verhältnis zum Geld. Die Fähigkeit zu großen Investitionen paarte sich mit einer peniblen Sparsamkeit im Kleinen. »Ich gebe nicht gerne Geld für etwas aus, das morgen nichts mehr wert ist«, bekannte er einmal. Brannte irgendwo Licht, wo es dunkel sein durfte, knipste Oetker es aus. Seine Schuhe trug er 20 Jahre. Über seine Sparsamkeit kursierten die absonderlichsten Geschichten: zum Beispiel dass er Oberhemden mit verschlissenen Kragen flicken ließ, indem aus einem Stück des Hemdrückens ein neuer Kragen gefertigt wurde, während das herausgeschnittene Stoffstück durch einen Flicken ersetzt wurde. Oetkers Freund Herzogenrath bestätigte der Frau des Architekten Pinnau diese Geschichte. Ruth Pinnau selbst fiel beim Tanzen die altmodische Form von Oetkers Frack auf. »Es war derselbe Anzug, von dem er mir und vielen anderen einige Jahre später sagte, dass er bereits 15 Jahre alt sei und er ihn bis an sein Lebensende tragen wollte.«
Seit den frühen fünfziger Jahren war der Reeder solo. Oetker konnte daher privat viel Zeit mit seinem Freund Herzogenrath und mit den |240| Pinnaus verbringen. Das Quartett besichtigte Grundstücke, Fabriken und feierte Schiffstaufen. Meist traf man sich in Hamburg, wo Cäsar Pinnau für die Hamburg Süd an der Ost-West-Straße 1960 ein spektakuläres Bürohaus errichtete, das mit seiner Fassade aus grün getöntem Glas hochmodern wirkte. Die großstädtische Leichtigkeit der Pinnaus, die das Leben genossen, ging Oetker jedoch ab. »Der meist verdrießliche und temperamentlose Ostwestfale, dem es schwer fiel, über seinen puritanischen Schatten zu springen, tat uns irgendwie Leid, da er mit so wenig Humor und Lebenslust ausgestattet war«, erinnerte sich Ruth Pinnau. Aber das war nur die eine Seite des Industriellen. »Besonders bei Ansprachen und auf Einweihungsfesten und Stapelläufen konnte er humorige Reden halten. Mit seinem westfälischen Dialekt, falsch gesetzten Endungen und Anekdoten aus dem Alltagsleben gab er sich leutselig und volksnah und lockerte damit das langweilige offizielle Protokoll auf.« Immerhin gönnte er sich einen, wenn auch kleinen Luxus: Oetker rauchte Pfeife und Zigarren und trank gern Schnaps.
Vor allem in Gegenwart Herzogenraths schien sich der Konzernherr wohl zu fühlen, wie Ruth Pinnau berichtete: »Mit ›Herzi‹ zusammen war der damals noch nicht wieder verheiratete Oetker ausgeglichener, zu Scherzen aufgelegt und entfaltete sogar einen gewissen westfälischen Charme.« Herzogenrath scheint für Oetker nach dem Krieg so etwas wie ein dritter Vater geworden zu sein. Als der Bielefelder Kunsthändler Ende 1961 starb, stand Rudolf-August Oetker weinend am Grab.
Anfang der sechziger Jahre traf Rudolf-August Oetker bei einer Einladung in der Hamburger Gesellschaft eine junge dunkelhaarige Frau, die ihm gefiel. Marianne von Malaisé war Mitte 20 und stammte aus München. Von ihren Freundinnen ließ sie sich Maja nennen. Sie hatte Sprachen studiert und arbeitete als Deutschlehrerin am Goethe-Institut in New York. »Sie sah außergewöhnlich gut aus, mit dunklem Haar und blauen Augen in einem großflächig ebenmäßig-rassigen Gesicht, mit einer charaktervollen, Willensstärke ausdrückenden Nase und einem bezaubernden Lächeln«, erinnerte sich Ruth Pinnau.
|241| Die familiäre Herkunft der jungen Frau imponierte dem standesbewussten Oetker. Ihre Vorfahren väterlicherseits waren während der Französischen Revolution nach Bayern geflohen und dort meist königlich bayerische Offiziere gewesen. Ihr Großvater Ferdinand von Miller hatte von 1844 an die königliche Erzgießerei in München geleitet. Majas Vater Ferdinand von Malaisé war Diplomingenieur und hatte für die Lokomotivfabrik Henschel gearbeitet. Ihre Mutter Therese war eine geborene Münchmeyer und entstammte einer alteingesessenen
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