Die Oger - [Roman]
Schon nach dem ersten Aufprall verstummten die panischen Schreie des Mannes, aber seine Wut ließ den Oger weitermachen.
Gerade, als er sein Opfer wieder zu Boden schleudern wollte, bohrte sich ein weiterer Bolzen von hinten in sein Schulterblatt. Der Treffer ließ die Muskeln in seinem Arm erschlaffen, und sein Opfer löste sich aus der Umklammerung. Der Leichnam des Mannes flog zehn Schritt weit in die spitzen Felsen und blieb dort verkrümmt liegen. Oglar konnte den Schützen nicht ausfindig machen und verharrte dort, wo er stand. Sein rechter Arm hing schlaff an ihm herab, und der Ärmel seines Hemdes tränkte sich nach und nach mit Blut. Der Mann, der ihn verfehlt hatte, lag auf halber Höhe am Hang. Zwei Orks standen über ihm und zogen ihre Breitschwerter aus seinem geschundenen Körper. Oglar sah, wie drei Orks, bewaffnet mit Armbrüsten, auf ein Ziel in den nahe gelegenen Baumkronen anlegten. Ihre Bolzen lösten sich fast zeitgleich. Es gab einen erstickten Aufschrei, und kurz danach stürzte der letzte der Männer aus den Ästen in die Tiefe. Zwei Bolzen steckten in seinem Rücken und hatten seinen Tod durch den Sturz vorweggenommen.
Oglar verstand nicht, was hier vorgegangen war. Die Hüttenbauer hätten es nicht gewagt, ihn so unterlegen und schlecht ausgerüstet anzugreifen. Ihm war rätselhaft, wie sie es geschafft hatten, überhaupt so weit ins Lager einzudringen.
»Waren Gefangene. Ursadan hat geschickt«, sagte ein anderer Oger zu ihm und legte den Toten zu seinen Füßen.
»Hab gesehen. Wusste nicht, was tun«, entschuldigte er sich bei Oglar.
Oglar sah den Hang hinauf zu Ursadan. Neben dem Orkhauptmann lagen die zwei Frauen regungslos auf den Felsen. Große, kreisrunde Blutflecke zeichneten sich auf ihrer Kleidung ab. Ursadan lächelte hämisch und hob in geheuchelter Ahnungslosigkeit die Arme.
Oglar wusste, dass der Hauptmann die Oger nicht mochte, aber sie zu einer Zielscheibe für ihre Feinde zu machen, stand auf einem anderen Blatt.
»Du hast lassen entkommen. Ich sagen Meister, du unfähig«, brüllte er und wandte sich ab.
Bei dem Wort Meister entglitten Ursadan die Gesichtszüge. Was nahm sich dieser dumme Fleischkloß eigentlich heraus? Wutentbrannt nahm er sich die schwere Streitaxt, die vor ihm am Felsen lehnte, und stieg den Hang herab. Oglar bemerkte nicht, dass sich der Hauptmann näherte. Er war dabei, sich den Bolzen aus der Hüfte zu ziehen. Ursadan fing an zu rennen. Zehn Schritt hinter Oglar schleuderte er die Streitaxt beidhändig in den Rücken des Ogers.
Der Schrei des Ogers füllte die Schlucht vollständig aus und übertönte jeden anderen Laut. Mit Entsetzen in den Augen drehte er sich um und sah seinen Mörder an. Dann wurde sein Blick trübe, und er brach zusammen. Ursadan drehte sich unbeteiligt um und ging. Am Holzstapel angekommen, durchtrennte er die Seile, die die Stämme zusammenhielten und schaute zu, wie sie über den toten Oglar hinwegrollten und ihn unter sich begruben.
»Ein bedauernswerter Unfall«, rief er den Zuschauern zu. Niemand wagte es, ihm zu widersprechen.
34
Dicht auf den Fersen
Das Meer lag vollkommen ruhig da, und die Sterne spiegelten sich im Wasser. Rund um das kleine Ruderboot konnte man Verwirbelungen an der Oberfläche erkennen. Ein Fischschwarm folgte dem Fremdkörper, in der Hoffnung, hier den einen oder anderen Leckerbissen erhaschen zu können. Das Rettungsboot der Seestern glitt fast geräuschlos dahin. Rator ruderte allein, während Cindiel und Mogda nach dem Festland Ausschau hielten. Es konnte nicht mehr weit entfernt sein.
Seit drei Tagen steuerten sie nun schon auf die Küstenregion Nelbors zu. Kein einziges Schiff hatte ihren Weg gekreuzt. Die Gewässer waren für größere Schiffe unpassierbar, da an vielen Stellen kurz unter der Wasseroberfläche vulkanische Felsen nur darauf warteten, den Rumpf eines verirrten Kahns aufzuschlitzen und die Mannschaft in die Tiefe zu ziehen.
Das Gewicht der beiden Oger ließ die Wasserlinie nur eine Handbreit unter dem Bootsrand enden. Jede noch so kleine Welle schwappte ins Innere und musste per Hand mit einem kleinen Holzbecher ausgeschöpft werden. Wenn einer der beiden sein Gewicht verlagerte, drohten sie zu kentern. Auf hoher See, ohne den Schutz von Wasserzahn als Wellenbrecher, hätten sie sich keinen Tag über Wasser halten können, aber Rator hatte notgedrungen einen eigenen Ruderstil entwickelt, der das Boot dennoch gleichmäßig durchs Wasser gleiten ließ, auch wenn er
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