Die Oger - [Roman]
Charakter besaßen, von mir eigenhändig aussortiert wurden. Die Berichte, die Ihr dort vor Euren Füßen habt, sind von anständigen Bürgern, von denen viele selbst ihre Kinder verloren haben.«
»Die Kinder sind nicht verloren, Barrasch. Sie sind entführt worden, und wir werden sie zurückholen ... jedes einzelne«, entgegnete der Lord mit Nachdruck.
»Die Spur der Orks verliert sich unten am Fluss. Wie soll es jetzt weitergehen, Mylord?«, wollte Barrasch wissen.
»Du stellst noch einmal einen Trupp Spurenleser zusammen und umrundest die Stadt in immer größer werdenden Kreisen, bis ihr etwas findet. Irgendwo müssen doch Spuren sein. Man kann sie nicht alle verwischen, nicht von so vielen Orks.«
Lord Felton machte eine kleine Pause und sah Barrasch dabei tief in die Augen. Er versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen, doch in seinen Augen spiegelte sich die Hoffnungslosigkeit.
»Beeilt euch, denn die Zeit ist gegen uns. Wenn es zu regnen beginnt, sind alle Spuren dahin. Ach ja, noch etwas: Veranlasse bitte, dass man die alte Wahrsagerin vom Marktplatz zu mir bringt.«
»Eure Lordschaft?«, kam es zögerlich von Barrasch.
»Ja, was?«
»Sie wartet bereits draußen in der Eingangshalle. Ihr habt schon heute Morgen nach ihr schicken lassen.«
»Ach ja? ... Dann lasst sie endlich herein, wir wollen keine Zeit verlieren.«
Barrasch machte auf der Stelle kehrt und eilte mit großen Schritten durch den Saal. Er ließ die Tür offen stehen und beauftragte einen Diener, die alte Frau zu holen.
Lord Felton setzte sich an den Schreibtisch und sah, wie die Alte in Begleitung eines Dieners den langen Gang zum Sitzungssaal hinaufbegleitet wurde. Trotz ihres hohen Alters ging sie recht zügig und sicher. Sie stützte sich zwar auf einen Stock, doch dieser schien eher symbolischen Wert für sie zu haben. Lord Felton hatte schon viele Geschichten über die alte Gerba gehört, doch in einer Stadt wie dieser rankten sich oft die wunderlichsten Gerüchte über Personen, die ein wenig anders waren als andere. Auf den ersten Blick schien sie sich nicht von anderen alten Menschen zu unterscheiden, doch wenn man ihr gegenüberstand, sah man die Kraft und Willensstärke in ihren Augen. Der Ausdruck ihrer Augen konnte einen dazu bringen, verlegen auf den Boden zu schauen und sich schuldig zu fühlen ... für was auch immer. Egal ob Bauer, Händler oder Adliger, alle spürten sie es, dieses Gefühl, das sonst nur Kinder empfanden, wenn sie von ihren Eltern zur Rede gestellt wurden.
Sie schien auf ihr Äußeres nicht besonders viel Wert zu legen. Sie trug einen langen Umhang mit einer Kapuze, der abgenutzt, aber sauber war. Die Schuhe waren solide gearbeitet, doch war ihre beste Zeit schon lange vorbei. Sie trug keinen sichtbaren Schmuck. Die langen weißgrauen Haare hingen strähnig herunter und hatten eine gründliche Säuberung genauso nötig wie ihre Hände und Fingernägel.
»Mylord, die alte Gerba ist hier. Soll ich sie hereinbringen?«, fragte der Diener. Lord Felton nickte nur.
»Gerba oder Frau Gerba. Das ›alte‹ kannst du ruhig weglassen, Jungchen. Ich sag ja auch nicht, hässlicher Diener«, berichtigte Gerba, drückte sich an dem Diener vorbei und schritt, ohne ihn weiter zu beachten, auf Lord Felton zu.
»Ihr habt mich rufen lassen, Eure Lordschaft? Ich nehme nicht an, dass Ihr einen Liebeszauber braucht, um Eurer Ehe neues Leben zu verleihen oder derartige andere Kinkerlitzchen, wie Ihr meine Kunst vor nicht allzu langer Zeit genannt habt?«
»Setzt Euch doch erst einmal, ehrenwerte Frau Gerba«, ergriff Lord Felton überaus freundlich das Wort. »Kann ich Euch eine Erfrischung bringen lassen, etwas Tee oder Gebäck?«
»Haltet ein! Erstens: Wir sollten in einem Ton miteinander sprechen, der mir nicht die Übelkeit im Hals hochsteigen lässt. Zweitens: ja, etwas Tee wäre nett, und anstatt des Gebäcks nehme ich die Köpfe dieser hinterhältigen Tabalsbrut, wenn es nicht zu viele Umstände bereitet, und ...«
»Nun gut, ich habe verstanden, Schluss mit den Floskeln«, unterbrach der Lord sie, während er den Diener mit einer Geste anwies, den Tee zu bringen. »Ihr wisst, was geschehen ist? Meine Leute haben jeden befragt, der etwas gesehen hatte, aber jeder berichtet etwas anderes. Es gibt keine Spur, weder von den Kindern noch von den Entführern.«
»Entführer? Wir wollen doch wohl nicht die Geschöpfe Tabals mit einfachen Straßenräubern und Bettlern vergleichen«, fuhr Gerba aufgeregt
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