Die Operation
Schatten eines Gebüschs. Die Sonne war zwar noch nicht aufgegangen, aber es war schon hell.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Stephanie.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte Daniel, »aber ich würde tippen, er erleichtert sich.«
Michael tauchte wieder auf und stieg ein. »Tut mir Leid«, sagte er, ohne ein weiteres Wort der Erklärung. Dann beugte er sich nach vorne und holte ein paar Landkarten aus dem Handschuhfach.
»Ich werde einen Kopiloten brauchen«, sagte er. »Kann von Ihnen jemand gut Karten lesen?«
Daniel und Stephanie tauschten einen Blick aus.
»Sie kann es wahrscheinlich besser als ich«, gab Daniel zu.
Michael faltete eine der Landkarten auseinander. Er blickte über die Schulter nach hinten zu Stephanie. »Wollen Sie nicht nach vorne auf den Beifahrersitz kommen? Ich brauche wirklich jemanden, der mir hilft, bis wir an Cuneo vorbei sind.«
Stephanie zuckte mit den Schultern, stieg hinten aus und vorne wieder ein.
»Wir sind jetzt hier«, sagte Michael, nachdem er die Innenbeleuchtung eingeschaltet hatte. Er deutete auf einen Punkt nordöstlich von Turin. »Und da wollen wir hin.« Er ließ den Finger bis an den unteren Rand der Karte gleiten und zeigte auf die Mittelmeerküste.
»Nizza? In Frankreich?«, sagte Stephanie.
»Genau. Das ist der nächstgelegene größere Flughafen außerhalb Italiens, wenn wir uns nach Süden orientieren, und das würde ich empfehlen, da wir dann auf Nebenstraßen fahren können. Wir könnten theoretisch auch in Richtung Norden nach Genf fahren, aber dazu müssten wir Hauptverkehrswege benutzen und einen der größten Grenzübergänge passieren. Ich denke, Süden ist sicherer und daher besser. Sind Sie damit einverstanden?«
Daniel und Stephanie zuckten mit den Schultern. »Ich denke schon«, meinte Daniel.
»Also gut«, sagte Michael. »Das ist unsere Strecke.« Wieder nahm er den Zeigefinger zu Hilfe. »Wir fahren durch Turin in Richtung Cuneo. Von dort überqueren wir den Colle di Tenda. Nachdem wir den - unbewachten - Grenzübergang passiert haben, bleiben wir in Frankreich, auch wenn die Hauptstraße in Richtung Süden wieder nach Italien führt. In Menton an der Küste fahren wir auf die Autobahn, die uns in kürzester Zeit nach Nizza führt. Dieser letzte Abschnitt wird am schnellsten gehen. Von der Zeit her würde ich sagen, wir brauchen fünf bis sechs Stunden für die ganze Strecke, grob geschätzt. Ist das für Sie akzeptabel?«
Daniel und Stephanie zuckten noch einmal mit den Schultern, nachdem sie sich einen Blick zugeworfen hatten. Die Ereignisse hatten sie verwirrt und sprachlos gemacht. Sie konnten kaum noch denken, von reden ganz zu schweigen.
Michael schaute sie abwechselnd an. »Ich deute Ihr Schweigen als Zustimmung. Ich kann Ihre Verwirrung verstehen, der Vormittag hat einen unerwarteten Verlauf genommen, um es vorsichtig zu formulieren. Also durchqueren wir zuerst einmal Turin. Ich hoffe, wir geraten nicht in zu dichten Verkehr.« Er klappte die zweite Karte auf, einen Stadtplan von Turin und Umgebung. Er zeigte Stephanie, wo sie jetzt waren und wo sie hinwollten. Sie nickte.
»Es dürfte nicht allzu schwierig werden«, sagte Michael. »In puncto Straßenschilder machen die Italiener ihre Sache gut. Zuerst folgen wir der Beschilderung Richtung Centro Citta und dann wollen wir auf die S-20 in Richtung Süden. Okay?« Stephanie nickte noch einmal.
»Also los!«, sagte Michael. Er setzte sich wieder hinter das Lenkrad und ließ den Wagen anrollen.
Am Anfang war der Verkehr nicht besonders dicht, aber je näher sie der Innenstadt kamen, desto schlimmer wurde es, und je schlimmer es wurde, desto länger dauerte die Fahrt, und je länger die Fahrt dauerte, desto schlimmer wurde der Verkehr -es war wie ein Teufelskreis. Kurz bevor sie das Stadtzentrum erreicht hatten, offenbarte die blassblaue Dämmerung einen klaren, hellen Himmel. Sie saßen schweigend im Auto, abgesehen von gelegentlichen Richtungsangaben von Stephanie, die ihren Weg auf dem Stadtplan aufmerksam verfolgte und dann auf die richtigen Straßenschilder hinwies. Daniel sagte kein Wort. Aber zumindest war er froh darüber, dass Michael ein umsichtiger, defensiver Autofahrer war.
Es war fast neun Uhr, als sie sich endlich aus dem Gewühl befreit hatten und auf der S-20 nach Süden fuhren, um den Turiner Berufsverkehr hinter sich zu lassen. Daniel und Stephanie hatten sich mittlerweile ein wenig entspannt und die Zeit gefunden, ihre Gedanken zu sortieren,
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