Die Operation
Behandlung abgeschlossen war und sie alle drei wieder auf dem Festland angekommen waren. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Mittlerweile waren acht Minuten vergangen, also ungefähr die Hälfte ihres Zeitkontingents.
Mit zunehmender Nervosität hastete Stephanie weiter, beschleunigte ihre Schritte, während sie schnelle Blicke in die Quergänge warf und jedes Regal, an dem sie vorüberging, neugierig von oben bis unten musterte. Das Problem bestand darin, dass sie nicht genau wusste, was sie eigentlich suchte, und der Raum war riesig. Dazu kam noch, dass sie so langsam das Gefühl hatte, nicht genügend Luft zu bekommen. Da dämmerte ihr, dass die Luft der Eierkammer vermutlich einen erhöhten Kohlendioxidanteil enthielt, um das Wachstum der Gewebekulturen zu fördern.
Nach weiteren zwanzig Schritten blieb Stephanie erneut stehen. Sie befand sich vor einem Regal mit ungewöhnlichen und offensichtlich speziell angefertigten Behältern mit Gewebekulturen. Stephanie hatte noch nie so etwas gesehen. Sie waren nicht nur größer und tiefer als gewöhnlich, sondern verfügten auch über eine Art integrierte Gebärmutter, in der die Zellen wachsen konnten. Zusätzlich standen sie auf Drehtellern, die eine kontinuierliche, horizontale Kreisbewegung erzeugten, vermutlich um das Medium, in dem die Kulturen lagerten, zirkulieren zu lassen. Ohne Zeit zu verlieren, griff Stephanie ins Regal und holte eines der Gläser heraus. Auf dem Etikett stand: FÖTALER EIERSTOCK, ZERKLEINERT, SCHWANGERSCHAFT: EINUNDZWANZIG WOCHEN; EIZELLEN IM DIPLOTEN-STADIUM DER FRÜHPHASE. Wieder folgte ein Datum und ein Code. Stephanie überprüfte die anderen Gefäße in diesem Regal. Ähnlich wie bei den Keimzellenkulturen waren auch hier alle Daten und Codes unterschiedlich.
Die sich anschließenden Regale waren noch interessanter. Dort befanden sich noch größere und tiefere Gefäße, von denen auch weniger in ein Regalfach passten. Die meisten waren leer. Die anderen enthielten ein flüssiges Wachstumsmedium. Ein Gebilde aus Schläuchen und Apparaturen, das an eine Dialysestation im Miniaturformat erinnerte, sorgte für eine gleichmäßige Zirkulation des Mediums. Diese Geräte waren es auch, die das Summen im Hintergrund verursachten, das jetzt den ganzen Raum erfüllte. Stephanie beugte sich nach vorne und schaute in eines der Gefäße. In der Flüssigkeit schwamm ein kleines, eiförmiges, ausgefranstes Gewebestück, das ungefähr die Größe und die Form einer Manilamuschel hatte. Aus dem winzigen Organ ragten Blutgefäße hervor, die durch zierliche Plastikschläuche an eine weitere, noch kleinere Maschine angeschlossen waren. Das winzige Organ wurde, während es in einem kontinuierlich zirkulierenden Kultivierungsmedium schwamm, gleichzeitig auch intern durchspült.
Stephanie steckte den Kopf ins Regal, damit sie einen Blick auf den Deckel des Gefäßes werfen konnte, ohne es zu berühren. Dort stand, mit rotem Fettstift: FÖTALER EIERSTOCK, SCHWANGERSCHAFT: ZWANZIG WOCHEN, dazu wieder ein Datum und ein Code. Trotz der Bedeutung dieser Entdeckung war Stephanie unweigerlich beeindruckt. Anscheinend bewahrten Saunders und sein Team intakte fötale Eierstöcke zumindest einige Tage lang auf.
Stephanie richtete sich wieder auf. Sie hatte zwar bis jetzt noch keine hundertprozentigen Beweise gefunden, aber die Eierkammer bestätigte ihren Verdacht, dass Paul Saunders und Konsorten junge bahamaische Frauen dafür bezahlten, sich schwängern zu lassen, um dann nach etwa zwanzig Wochen eine Abtreibung durchzuführen und so fötale Eierstöcke zu bekommen. Durch ihre Ausbildung in Embryologie wusste sie etwas, wovon die meisten Menschen keine Ahnung hatten: dass nämlich der winzig kleine Eierstock eines einundzwanzig Wochen alten Fötus etwa sieben Millionen Keimzellen enthält, die über sämtliche Anlagen verfügen, um sich in reife Eizellen zu verwandeln. Die meisten dieser Keimzellen gehen auf unerklärliche Weise schon vor der Geburt und während der Kindheit verloren, sodass eine junge Frau zum Beginn ihrer Geschlechtsreife noch über rund dreihunderttausend solcher Zellen verfügt. Wer menschliche Eizellen züchten will, kommt am fötalen Eierstock nicht vorbei. Leider schien Paul Saunders dies ebenfalls zu wissen.
Jetzt, wo ihre Befürchtungen zumindest teilweise untermauert waren, schüttelte Stephanie voller Bestürzung den Kopf. Was für eine bodenlose Gewissenlosigkeit, menschliche Föten abzutreiben, um daraus Eier zu gewinnen!
Weitere Kostenlose Bücher