Die Operation
Das war ja noch schlimmer als die weiter gehende Forschung im Bereich des reproduktiven Klonens, die, wie sie vermutete, ebenfalls zu Paul Saunders’ Gesamtkonzept gehörte. Stephanie erkannte, dass fehlgeleitete reproduktionsmedizinische Einrichtungen wie die Wingate Clinic die Macht hatten, die gesamte Biotechnologie und ihre viel versprechenden Perspektiven in Verruf zu bringen, indem sie sich in solch gewissenlose Aktivitäten verstrickten. Und Daniels Fähigkeit, vor dieser Realität einfach die Augen zu verschließen, sagte etwas über ihn aus, was sie lieber nicht erfahren hätte. Diese Erkenntnis sowie die Distanziertheit, die er im Augenblick an den Tag legte, ließen ihr die Zukunft ihrer Beziehung fraglicher erscheinen als jemals zuvor. Einem spontanen Impuls folgend, fasste sie den Entschluss, sich zumindest eine eigene Wohnung zu suchen, sobald sie zurück in Cambridge waren.
Aber bis dahin gab es noch eine Menge zu erledigen. Stephanie sah erneut auf die Uhr. Elf Minuten waren verstrichen. Die Zeit lief ihr davon, es blieben ihr jetzt allerhöchstens noch vier Minuten. Aber sie brauchte einen eindeutigen Beweis, damit Saunders nicht behaupten konnte, die Abtreibungen wären im Zusammenhang mit einer Behandlung erfolgt. Theoretisch konnte sie der Eierkammer natürlich später noch einmal einen Besuch abstatten, aber das konnte schwierig werden, schon allein, weil sie sich dann noch einmal eine glaubwürdige Ausrede einfallen lassen musste, Daniel allein zu lassen. Auch wenn er ihr auf der emotionalen Ebene keine Hilfe war, körperlich war er jedenfalls immer in ihrer Nähe.
Vier Minuten waren nicht viel Zeit. Also fasste Stephanie den verzweifelten Entschluss, im Laufschritt bis zum Ende des Raumes zu eilen, sich dort seitlich zu wenden und dann in einem der anderen Gänge wieder zu der geöffneten Tür zurückzukehren. Aber schon nach knapp sieben Metern blieb sie abrupt stehen. Sie hatte am Ende eines der Seitengänge, ebenfalls knapp sieben Meter entfernt, ein Labor oder ein Büro entdeckt, das mit einer durchgehenden Fensterfront vom Hauptraum abgetrennt war. Helles Neonlicht drang zu den Scheiben heraus und überflutete die unmittelbare Umgebung. Stephanie änderte ihre Richtung und lief darauf zu.
Als sie näher kam, stellte sie fest, dass ihr erster Eindruck richtig gewesen war. Es handelte sich höchstwahrscheinlich um Cindys Büro oder Labor. Es befand sich praktischerweise etwa auf halber Länge der Eierkammer und schmiegte sich an die Außenmauer des Gebäudes. Der Raum war rechteckig geschnitten und nur rund drei Meter breit, dafür aber fast zehn Meter lang. An der gesamten Rückwand zog sich ein durchgehender Tresen entlang, darunter waren Schubladen angebracht. In der Mitte stand der Tresen ein Stück weiter vor und bildete so eine Art Schreibtisch. Am linken Ende war ein Waschbecken mit einem typischen Laborwasserhahn in den Tresen eingelassen. Darüber befanden sich Wandschränke. Helles Neonlicht drang aus Leuchtröhren unterhalb der Wandschränke hervor und tauchte die Oberfläche des Tresens in einen blauweißen Schimmer.
Der Tresen selbst war mit Gefäßen zur Gewebekultivierung, Zentrifugen und allem möglichen anderen Laborzubehör übersät. Doch Stephanie schenkte all dem keinerlei Beachtung. Ihre Aufmerksamkeit hatte sofort ausschließlich einem großen, aufgeschlagenen Kassenbuch auf dem Schreibtisch gegolten. Es wurde zum Teil durch die hohe Lehne des Bürosessels verdeckt.
In dem Bewusstsein, dass die Zeit unaufhaltsam verrann, suchte Stephanie hastig nach einer Öffnung in der verglasten Bürofront. Zu ihrer Verblüffung entdeckte sie direkt vor sich eine Tür. Sie sah, außer dass sie einen versenkten Knauf hatte, genauso aus wie die anderen Glasflächen. Die Türangeln waren auf der Innenseite angebracht.
Als Stephanie das Schlüsselloch entdeckte, hoffte sie inständig, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Sie zog den Türknauf aus seiner Versenkung und drehte daran. Erleichtert registrierte sie, dass er sich drehen ließ und die Tür sich mühelos nach innen öffnete. Als sie den lang gestreckten, schmalen Raum betrat, konnte sie spüren, dass eine Brise Eierkammerluft sie umwehte. Vermutlich wurde in der Eierkammer ein leichter Überdruck aufrechterhalten, um in der Luft befindliche Mikroben fern zu halten. Im Inneren des engen Büroraumes herrschten dank einer Klimaanlage normale Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Stephanie ließ die Tür offen stehen und beugte
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