Die Operation
Stimme mit dem abgehackten Neuenglandakzent klang eine ganze Oktave höher, als Daniel erwartet hatte. »Ich bin Spencer Wingate und ich bin sehr erfreut, von Ihnen zu hören. Wir haben schon letzte Woche mit Ihrem Anruf gerechnet, aber das macht nichts. Sind Sie bitte so freundlich und warten einen kleinen Augenblick, bis ich Dr. Saunders geholt habe? Es dauert vielleicht eine Minute, aber wir machen am besten gleich eine Telefonkonferenz. Ich weiß, dass Dr. Saunders sich genauso sehr auf das Gespräch mit Ihnen freut wie ich.«
»Prima«, sagte Daniel freundlich, obwohl sein Befremden noch größer geworden war. Er lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Tisch und nahm das Telefon in die linke Hand, damit er mit dem Kugelschreiber in seiner rechten auf den Schreibtisch klopfen konnte. Spencer Wingates Reaktion auf seinen Anruf hatte ihn vollkommen überrumpelt und er war ein bisschen nervös. Immer wieder hörte er Stephanies Mahnungen, sich nicht mit diesen verrufenen, irregeleiteten Reproduktionsspezialisten einzulassen.
Aus einer Minute wurden fünf. Gerade, als Daniel sein inneres Gleichgewicht so weit wiedergefunden hatte, dass er sich zu fragen begann, ob er vielleicht aus Versehen aus der Leitung geworfen worden war, hörte er Wingates Stimme. Er war etwas außer Atem. »Okay, da bin ich wieder! Und du, Paul? Bist du auch da?«
»Ja, ich bin da«, sagte Paul Saunders. Offensichtlich benutzte er einen Anschluss in einem anderen Zimmer. Saunders hatte, im Gegensatz zu Wingate, eine eher tiefe Stimme mit einem für den Mittelwesten charakteristischen, nasalen Akzent. »Ich freue mich sehr, mit Ihnen sprechen zu dürfen, Daniel, wenn ich so frei sein darf.«
»Ganz wie Sie möchten«, erwiderte Daniel.
»Vielen Dank! Und, bitte, nennen Sie mich Paul. Zwischen Freunden und Kollegen bedarf es keiner Formalitäten. Lassen Sie mich gleich zu Anfang betonen, wie sehr ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen freue.«
»Das gilt für mich genauso«, ließ sich Spencer vernehmen. »Wahnsinn! Die gesamte Klinik freut sich auf Sie. Wann dürfen wir Sie erwarten?«
»Nun, das ist einer der Gründe für meinen Anruf«, sagte Daniel vage. Er wollte diplomatisch bleiben und kämpfte gleichzeitig mit seiner enormen Neugier. »Aber zunächst würde ich gerne wissen, wie es kommt, dass Sie meinen Anruf erwartet haben?«
»Durch Ihren Kundschafter, oder wie Sie ihn sonst nennen mögen«, antwortete Spencer. »Wie hieß er noch mal, Paul?«
»Marlowe«, sagte Paul.
»Richtig! Bob Marlowe«, fuhr Spencer fort. »Als er mit der Besichtigung unserer Einrichtung fertig war, hat er gesagt, Sie würden uns in der darauf folgenden Woche anrufen. Natürlich waren wir enttäuscht, als wir nichts von Ihnen gehört haben. Aber das spielt jetzt, wo Sie sich gemeldet haben, wirklich keine Rolle mehr.«
»Wir sind sehr erfreut darüber, dass Sie unsere Einrichtung nutzen wollen«, sagte Paul. »Es wird uns eine Ehre sein, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich über Ihr Vorhaben spekuliere. Bob Marlowe hat sich zwar nicht konkret geäußert, aber ich gehe eigentlich davon aus, dass Sie Ihr geniales HTSR-Verfahren an einem Patienten ausprobieren wollen. Ich meine, aus welchem anderen Grund sollten Sie aus Boston weggehen, wo Ihnen ein eigenes Labor und hervorragende Krankenhäuser zur Verfügung stehen. Ist meine Annahme zutreffend?«
»Woher kennen Sie das HTSR-Verfahren?«, fragte Daniel. Er war sich gar nicht sicher, ob er jetzt schon über seine Pläne reden sollte.
»Wir haben Ihren hervorragenden Aufsatz in der Nature gelesen«, sagte Paul. »Brillant, einfach brillant. Er hat mich in seiner Bedeutung für die gesamte Biowissenschaft an meine eigene Arbeit erinnert: Die In-vitro-Reifung menschlicher Eizellen. Haben Sie das zufällig gelesen?«
»Noch nicht«, antwortete Daniel, der sich weiterhin zur Höflichkeit zwang. »Wo ist der Aufsatz erschienen?«
»Im Journal of Twenty-first Century Reproductive Technology«, sagte Spencer.
»Diese Fachzeitschrift kenne ich gar nicht«, erwiderte Daniel. »Wer gibt sie heraus?«
»Wir selbst«, sagte Paul mit stolzer Stimme. »Direkt hier in der Wingate Clinic. Wir fühlen uns der Forschung genauso verpflichtet wie dem Krankenhausalltag.«
Daniel verdrehte die Augen. Die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Selbstverlag, ohne dass andere Kollegen sie vorher einer kritischen Prüfung unterziehen konnten, war ein
Weitere Kostenlose Bücher