Die Operation
Essen immer ein Thema.
»Ein Sandwich wäre ganz gut«, sagte Stephanie, wohl wissend, dass Widerstand zwecklos war. Sie folgte der schlanken Silhouette ihrer Mutter in die Küche, wo köchelnde Töpfe ihren Duft verströmten. »Hier riecht es aber gut.«
»Ich koche Osso buco, das Leibgericht deines Vaters. Wieso bleibst du nicht zum Essen? Wir fangen gegen zwei Uhr an.«
»Ich kann nicht, Mom.«
»Sag deinem Vater Guten Tag.«
Gehorsam streckte Stephanie ihren Kopf ins Wohnzimmer, das direkt an die Küche anschloss. Seitdem sie denken konnte, war die Einrichtung vollkommen unverändert geblieben. Wie immer vor dem sonntäglichen Mittagessen versteckte sich ihr Vater hinter der Sonntagszeitung, die er in seinen fleischigen Händen hielt. Ein übervoller Aschenbecher balancierte auf der Armlehne seines Liegesessels.
»Hallo, Dad«, sagte Stephanie fröhlich.
Anthony D’Agostino senior klappte den oberen Rand der Zeitung nach unten. Er betrachtete Stephanie aus leicht trüben Augen über den Rand seiner Lesebrille hinweg. Eine dicke Smogwolke aus Zigarettenrauch hüllte ihn ein. War er in seiner Jugend noch sportlich gewesen, so war er jetzt die Verkörperung korpulenter Unbeweglichkeit. Er hatte im Lauf des vergangenen Jahrzehnts allen dringenden Warnungen seiner Ärzte zum Trotz deutlich zugenommen, auch nach seinem Herzanfall vor drei Jahren. So hatte er im Vergleich zu seiner Frau, die stark abgenommen hatte, ein ungesundes Gleichgewicht hergestellt.
»Ich will nicht, dass du deiner Mutter Kummer machst, hast du verstanden? In den letzten Tagen ist es ihr gut gegangen.«
»Ich versuche mein Bestes«, sagte Stephanie.
Er klappte die Zeitung wieder hoch. So viel zum Thema Konversation, dachte Stephanie, zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen. Sie zog sich wieder in die Küche zurück. Thea hatte mittlerweile Käse, Brot, Parmaschinken und Obst hervorgeholt und deckte damit den Tisch. Stephanie sah ihr dabei zu. Ihre Mutter hatte seit ihrer letzten Begegnung abgenommen und das war kein gutes Zeichen. Aus der dünnen Haut ihrer Hände und ihres Gesichts ragten die Knochen hervor. Vor zwei Jahren war bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden. Seit der Operation und der anschließenden Chemotherapie war es ihr gut gegangen, bis sie vor drei Monaten einen Rückfall erlitten hatte. In einem ihrer Lungenflügel war ein Tumor entdeckt worden. Die Prognosen waren nicht günstig.
Stephanie setzte sich an den Tisch und machte sich ein Sandwich. Ihre Mutter holte sich einen Tee und setzte sich ihr gegenüber.
»Wieso kannst du nicht zum Essen bleiben?«, fragte Thea. »Dein großer Bruder kommt auch.«
»Mit oder ohne Frau und Kinder?«
»Ohne«, sagte Thea. »Er und dein Vater haben etwas Geschäftliches zu besprechen.«
»Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Wieso bleibst du nicht hier? Wir bekommen dich kaum noch zu Gesicht.«
»Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht. Ich fliege heute Abend weg, für etwa einen Monat, und deshalb wollte ich unbedingt heute noch vorbeischauen. Ich habe noch eine Menge zu erledigen.«
»Und, fliegst du mit diesem Mann zusammen?«
»Er heißt Daniel und ja, wir fliegen zusammen.«
»Du solltest nicht bei ihm wohnen. Es ist nicht richtig. Und außerdem ist er zu alt. Du solltest mit einem netten, jungen Mann verheiratet sein. Du selbst bist ja auch nicht mehr die Jüngste.«
»Mutter, das hatten wir doch schon.«
»Hör auf deine Mutter«, bellte Anthony senior aus dem Wohnzimmer herüber. »Sie weiß, wovon sie spricht.«
Stephanie hielt ihre Zunge im Zaum.
»Wo fliegst du hin?«
»Hauptsächlich nach Nassau auf den Bahamas. Zuerst fliegen wir noch woanders hin, aber nur für ein, zwei Tage.«
»Macht ihr Urlaub?«
»Nein«, sagte Stephanie. Sie erzählte ihrer Mutter, dass die Reise geschäftliche Gründe hatte, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. Ihre Mutter fragte auch nicht weiter, zumal Stephanie das Gespräch auf ihre Nichten und Neffen brachte. Die Enkelkinder waren Theas Lieblingsthema. Nach einer Stunde, Stephanie war kurz davor, sich zu verabschieden, ging die Tür auf und Tony junior spazierte herein.
»Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, sagte Tony mit gespieltem Erstaunen, als er Stephanie entdeckte. Er sprach mit einem starken, sorgsam gepflegten Arbeiterakzent. »Die erlauchte Harvard-Doktorin hat sich entschlossen, uns armen, arbeitenden Wühlmäusen einen Besuch abzustatten.«
Stephanie blickte auf und lächelte ihren großen
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