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Die Opfer des Inzests

Die Opfer des Inzests

Titel: Die Opfer des Inzests Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Tür auf. Er schaudert und erstarrt dann, als sich das riesige Zimmer
vor ihm auftut, in dem er wohnen soll. Dieses kleine Eisenbett, das unter
Kisten voller alter Bücher und Kleider begraben ist... darin soll er schlafen?
Es sei denn, der Onkel hat ihm das große Bett drüben am Fenster zugedacht.
    Der Raum ist mit einem Durcheinander
verschiedenster Möbel vollgestellt Alle staubig, aus einer anderen Zeit. Tapfer
sagt sich Éric, daß er aufräumen und sich eine kleine Ecke für sich einrichten
wird. Seinen Koffer zu öffnen tröstet ihn ein wenig. Da sind seine
Fußballsachen und sein altes Stofftier, Baghera, ein schwarzer Panther, den er
hat, seit er noch ein Säugling war. Und da sind seine Schulbücher. Morgen wird
er zur Schule gehen. Er wird seinen Onkel nur abends zu sehen bekommen.
Immerhin etwas!
    Ein Geräusch läßt ihn zusammenfahren.
Die Tür zum angrenzenden Zimmer ist geöffnet worden. Hat der Onkel schon fertig
zu Mittag gegessen? Éric hört seine schweren Schritte auf dem Holzboden.
Komisch, er schließt hinter sich ab. Wovor hat er denn Angst? Éric wird ihn
ganz sicher nicht stören. Hat wirklich seltsame Gewohnheiten der Typ. Und warum
geht er an diesem Nachmittag nicht wie gewöhnlich arbeiten, warum fährt er
nicht in die einige Kilometer entfernte Werkstatt, die er leitet?
     
    Beim Abendessen herrscht angespannte
Stille. Der Onkel ist es nicht gewohnt, sich zu unterhalten, das ist
offensichtlich. Glücklicherweise hat Éric nicht die geringste Lust auf ein
Gespräch. Aber trotzdem! Wie viele Mahlzeiten wird er an einem Tisch mit diesem
Sonderling einnehmen müssen? Wie viele Tage, Abende und Nächte wird er in
seinem Haus verbringen müssen? Éric ist zum Weinen zumute. Er hat Mühe, die
aufgewärmten Dosenerbsen und den viel zu salzigen Schinken als Beilage
hinunterzu würgen. Sein Herz zieht sich zusammen. Wo sind seine Eltern in
diesem Moment? Und seine Schwester, wie mag es ihr gehen? Éric kommt es vor,
als lägen die glücklichen Tage weit zurück. Sein Onkel müßte doch wissen, daß
er etwas Trost brauchen könnte. Mit elf Jahren ist es schwer, so etwas
durchzumachen... Aber nein, sein Onkel ißt, trinkt, wischt sich mit der
Serviette den Mund ab und geht schlafen, ohne sich im geringsten um die
düsteren Gedanken seines jungen Gastes zu scheren. »Ich werde mich nicht mal
bei Papa und Mama beschweren können«, sagt sich Éric. »Ich darf sie nicht damit
belästigen.«
    Éric verbringt eine unruhige Nacht. Das
kleine Eisenbett quietscht bei jeder Bewegung. Im ganzen Haus ächzt und knackt
es unheimlich. Mäuse trippeln über den Dachboden und streiten sich wohl um
Körner, die sie im Garten stibitzt haben. Gewöhnlich mag Éric Mäuse, aber jetzt
hält der Lärm, den sie veranstalten, ihn wach und macht ihm nur noch mehr
angst.
    Er ist erleichtert, als es Tag wird. Am
Abend werden sich ganz sicher seine Eltern melden. Agnès wird wieder gesund
werden, das fühlt er. Sie muß einfach. Sie werden bald alle zurückkommen, und
dann wird dieser unangenehme Aufenthalt vergessen sein. Sogar sein Bruder Igor
wird nach Hause kommen. Wo immer er auch steckt, ganz sicher nimmt er das
nächste Flugzeug, den nächsten Zug oder das nächste Schiff, irgendwas, um mit
ihnen zu feiern.
    Am Morgen frühstückt Éric allein, ehe
er sich zur Schule aufmacht. Sein Onkel hat sich nicht mehr blicken lassen. Was
für ein merkwürdiges Benehmen für einen Familienangehörigen! »Wie gut, daß Mama
mir beigebracht hat, allein zurechtzukommen«, denkt sich der Kleine.
    Aber am Nachmittag, als er in das
abweisende Haus zurückkehrt, träumt Éric wehmütig von den Köstlichkeiten, die
seine Mutter immer für ihn zubereitet hat und auf die er die nächsten Tage wird
verzichten müssen.
    Überraschung! Als er die Tür öffnet,
weht ihm der Duft von Pfannkuchen entgegen. Onkel Robert steht lächelnd am
Herd, in der einen Hand eine Pfanne, in der anderen einen Wender.
    »Komm rein. Setz dich und iß!«
    Die Stimme ist beinahe so nett wie die
Geste. Der Onkel ist also doch nicht so übel... Ein bißchen brummig, aber er
ist den Umgang mit Kindern ja auch nicht gewöhnt. Daran wird es liegen. Er weiß
nicht, wie er mit seinem Neffen umgehen soll. Jedenfalls macht er Fortschritte!
    Trotzdem ist Éric verschüchtert.
    »Für mich, wirklich?«
    »Natürlich sind die für dich. Für wen
denn sonst? Sonst wohnt hier niemand, soviel ich weiß. Und überhaupt kannst du
von mir alles bekommen, was du willst, wenn du brav

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