Die Opferstaette
Neugier ließ mich vor einem Stand verweilen, der irgendwie esoterisch aussah: Kerzen, Räucherstäbchen, Anhänger, Armreife und Zubehör für weiche Drogen – Bongs und Zigarettenpapier, ein paar andere Wasserpfeifen.
Dann bemerkte ich auf dem Boden neben einem der Tische einige Steinmetzarbeiten, darunter eine Reihe grün gefärbter, dicklippiger »keltischer« Steinköpfe.
Niemand bediente an dem Stand, aber durch die Plastikplanen auf der Rückseite der Bude sah man einen weißen Kombi mit offener Tür. Ich nahm an, dass der Inhaber gerade noch einige Waren holte.
Ich wollte gerade weitergehen, als Jonas Zitaras, der bleiche Kellner aus dem Crabshell, durch die Planen schlüpfte und einen Stapel Schachteln auf den Tisch stellte.
»Ah«, sagte er, als er mich erkannte. »Wie geht’s?«
»Gut. Gehört der Ihnen?«, fragte ich und sah mich an dem Stand um. Es passte irgendwie nicht zusammen.
»Ja. Ich bin am Tag Händler und abends Kellner. Um sich ein Leben in Irland leisten zu können, braucht man mehrere Einkommensquellen.«
Ich lächelte. »Vor allem, wenn einige der Jobs saisonabhängig sind.«
Er begann, die Schachteln zu öffnen. »Haben Sie etwas gesehen, das Ihnen gefällt? Ich könnte Ihnen einen guten Preis machen.«
Er holte einige Halsbänder mit Anhänger heraus und hängte sie an ein senkrecht stehendes Brett an einem Ende des Tischs. Auf manchen der Steinanhänger waren Kreuze mit drei Querbalken, auf anderen runenartige Symbole. Auch Schmuck aus Bernstein und Silber war ausgestellt. Auf einem kleinen, handgeschriebenen Schild stand OSTSEE-BERNSTEIN. Ich bemerkte, dass in einigen Stücken Insekten eingeschlossen waren.
»Diese keltischen Köpfe auf dem Boden – sind die echt? Ich meine, sind sie antik?«
»Wo denken Sie hin! Ich weiß, dass Sie Archäologin sind. Ich weiß auch, dass es verboten ist, solche antiken Artefakte zu verkaufen.«
»Aber nachdem man sie mit Joghurt bestrichen und ein paar Monate in der Erde begraben hat, sehen sie echt aus.«
»Und was ist falsch daran? Ich verkaufe sie als Gartenverzierung.«
»An Leute wie mich vielleicht. Aber vielleicht halten manche Leute sie tatsächlich für echt.«
»Dann sind es Idioten und haben es verdient, wenn sie ihr Geld loswerden.«
»Da ist allerdings was dran. Die hier interessieren mich auch …« Ich befühlte eine der Bernsteinketten und sah auf das Preisschild. »Sie sind billig. Sie sind nicht echt, oder?«
»Bernstein kommt in Litauen viel vor. Aber man könnte ein echtes Stück wie dieses nicht zu einem so niedrigen Preis kaufen. Das ist wiederhergestellter Bernstein, aus Spänen, die in den Werkstätten abfallen. Die mit den Insekten drin sind rein künstlich.«
»Wie interessant. Was ist damit?« Ich zeigte auf die Steinanhänger. »Diese Zeichen sind mir nicht bekannt.«
»Das sind die Symbole von Romuva, meiner Religion. Sie werden feststellen, dass auch der Bernstein diese Zeichen enthält.« Er zeigte auf eins der Muster. »Die heilige Eiche, zum Beispiel.«
Ich sah nun, dass das, was ich für ein Kreuz gehalten hatte, ein stilisierter Baum mit drei Astreihen und einer Flamme war, die oben aus ihm drang.
»Romuva?«
»Es ist eine wiederbelebte Form des vorchristlichen Glaubens meiner Heimat. Wussten Sie, dass Litauen als letztes Land Europas christianisiert wurde?«
»Nein. Wird Romuva von vielen Leuten praktiziert?«
»Es gibt nicht so viele Mitglieder, aber darauf kommt es nicht an. Wir sind ein katholisches Land, aber die vorchristlichen Anschauungen und Gebräuche gehören wesentlich mit zu unserer Kultur.«
»Wie hier vielleicht auch.«
»Sie sind seit dem fünften Jahrhundert christlich, glaube ich. Wir waren noch tausend Jahre länger frei von christlichen Einflüssen.«
»Und war das notwendigerweise gut?«
Er zuckte mit den Achseln und öffnete eine weitere Schachtel. Was ihn anging, verstand es sich von selbst. »Sie haben sicherlich von der litauischen Archäologin Marija Gimbutas gehört?«
»Ja. Und ich stimme mit ihren Ansichten nicht unbedingt überein.«
»Sie glauben nicht, dass es die Kultur einer weiblichen Gottheit gab, als Friede und Harmonie auf der Welt herrschten? Das ist doch zweifellos auch ein keltischer Glaube?« Er wandte den Blick kurz von mir. Eine potenzielle Kundin war zu uns gestoßen.
»Das ist eher Wunschdenken«, sagte ich.
Die Frau befühlte einen Anhänger und schien Zitaras unbedingt etwas fragen zu wollen.
»Aber danke, dass Sie mich über die
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