Die Opferstaette
wurde. Durch die üblichen Verdächtigen natürlich: Ratten, Füchse, Dachse, Hunde. Und in einem Küstengebiet kann man auch Möwen noch dazu zählen.«
»Soweit ich verstanden habe, besteht über ihre Identität aber kein Zweifel.«
»Nein. Da hatten wir wirklich Glück. Wir fingen bei einem Zahnarzt in Kilkee an und bekamen sofort eine eindeutige Identifizierung. Sie war bei ihm, um sich eine Füllung machen zu lassen, genau die, die noch in ihrem Zahn steckt, wie es der Zufall will.«
»Sind Metallfüllungen bei jemandem aus Lenas Generation nicht ungewöhnlich?«
»Eigentlich nicht. Manche Zahnärzte bevorzugen immer noch Amalgam für Backenzähne. Es hält länger als Kunststofffüllungen, und billiger ist es auch – was bei einer Studentin eine Rolle gespielt haben kann.«
Die Kellnerin kam mit einem Teller Rührei, und ich stand auf, um Langan in Ruhe frühstücken zu lassen.
»Vielleicht könnten wir uns im Lauf des Tages noch einmal treffen?«, sagte ich.
»Das wird nicht möglich sein«, sagte sie. »Ich fahre jetzt nach Ennis, und nach einem Treffen mit der Polizei dort geht es zurück nach Dublin, wo ich meinen Bericht fertigstelle. Danach obliegt es einem der staatlich beauftragten Gerichtsmediziner, die Todesursache festzustellen.«
»Wer ist der ermittelnde Beamte?«
»Detective Sergeant Dermot Rattigan«, sagte sie, und in ihrem Ton schien Missfallen mitzuschwingen. »Er hatte in den vergangenen fünf Jahren mit einer Reihe von Fällen verschwundener Frauen zu tun. Lena ist die erste, die auftaucht – leider tot.«
»Man dachte, sie habe Selbstmord begangen. Sei von den Klippen hier in Kilkee gesprungen.«
»Da sieht man, wie gut dieser Rattigan arbeitet«, bemerkte sie sarkastisch.
»Aber es gab doch sicherlich Anhaltspunkte für einen Selbstmord.«
»Sehr wenige. Sie wurde zuletzt gesehen, als sie die Straße auf der Rückseite der Klippen hinaufging. Niemand schien auf die Idee gekommen zu sein, sie könnte dort oben angegriffen und getötet und ihre Leiche anschließend abtransportiert worden sein.«
»Man hat etwas gefunden, das ihr gehörte, oder?«
»Ja. Ein Armband. Nicht gerade etwas, was jemand abnehmen und zurücklassen würde, der sich mit Selbstmordgedanken trägt, meinen Sie nicht? Schon eher etwas, das verloren geht, während das Opfer getragen wird.«
Ich nickte. Langan formte bereits eine Hypothese, die aber wenig fundiert war. Nicht mehr als die Selbstmordtheorie – es sei denn, es gab Belege, von denen weder sie noch ich wussten.
Ich überließ sie ihrem Frühstück und ging nach oben in den ersten Stock. Mir fiel plötzlich ein weiterer Grund ein, warum möglicherweise nicht mehr von Lena Morrisons Gebeinen in der Flussmündung auftauchten. Und es war der prähistorische Abfallhaufen, der mich darauf brachte. Skelette wurden an solchen Orten nämlich aus einem ganz bestimmten Grund zerstückelt: weil es dann leichter war, die Gebeine zu transportieren, um sie anderswo zu bestatten, wenn die Gemeinschaft von ihrem zeitweiligen Aufenthaltsort an der Küste weiterzog. Als Folge davon handelt es sich bei menschlichen Knochen in Muschelhaufen meist um zurückgelassene Reste: Teile des Schädels, Zähne, kleine Knochen aus Händen und Füßen.
Vielleicht waren Lenas sterbliche Überreste ebenfalls bei dem Abfallhaufen zerteilt worden, damit ihr Mörder sie transportieren konnte, und der Kiefer, den wir fanden, war ein Stück, das liegen geblieben war. Der entscheidende Punkt war also, dass man die Leiche nicht in der Flussmündung abgelegt, sondern von dort weggebracht hätte. Die forensische Archäologin hatte diesen Grund entweder zu erwähnen vergessen – oder sie war nicht darauf gekommen, was ich für unwahrscheinlich hielt. Vielleicht hatte sie ihn aus »ermittlungstechnischen Gründen«, wie die Polizei gern sagte, für sich behalten.
Als ich in mein Zimmer zurückkam, holte ich mein Handy aus der Schublade, wie ein bekehrter Revolverheld, der zu der traurigen Einsicht gelangt ist, dass seine Waffe doch ein notwendiges Übel darstellt.
Kim meldete sich sofort.
»Hallo, Kim. Wie geht’s?«
»Gut. Ich habe dich gestern Abend angerufen. Ich war in Ennis bis … Stimmt etwas nicht?« Ihr war an meinem Tonfall etwas aufgefallen.
»Anscheinend hast du es noch nicht gehört. Du hast doch neulich Lena Morrison erwähnt.«
»O nein. Hat man ihre Leiche gefunden?«
»Zumindest genug davon, um sie identifizieren zu können.« Ich beschrieb, wie Mahon und ich in
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