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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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nahe, dass es sich nicht um eine Einsiedelei gehandelt hatte, sondern um ein kleines Kloster – wenn auch eines mit stark asketischen Werten.
    Die frühen irischen Mönche wurden von den Wüstenklöstern Ägyptens inspiriert. Kleine Gruppen von Männern oder Frauen verließen ihr Zuhause und siedelten an abgelegenen Orten wie diesen, nur dass sie statt Hitze, Sand und Trockenheit Regen, Kälte und Sturm zu ertragen hatten. Manchmal
lebten einzelne Mönche isoliert in Höhlen oder Felsunterständen. Häufig befanden sich diese Orte aber in Reichweite des Klosters, sodass der Einsiedler ernährt oder gepflegt werden konnte, wenn er krank war.
    Nachdem ich meine Neugier fürs Erste befriedigt hatte, ging ich zu der Seite hinüber, die dem Festland gegenüberlag. Das Gras unter meinen Füßen war büschelig und uneben, und die Erde war durchlöchert von etwas, das ich für verlassene Höhlen von Lunden hielt, die sich jahreszeitlich bedingt im offenen Atlantik aufhielten. Ich musste also vorsichtig auftreten, als ich mich einem Abschnitt des Randes näherte, wo ein langer, grasbewachsener Hang nach unten verlief, ehe er zu einer senkrechten Steilwand abfiel.
    Ich legte mich auf den Bauch und kroch über das Gras, bis ich in die Tiefe blicken konnte. Der Felssockel, der dem Fuß der Klippen entsprang, lag jetzt vollständig frei und spannte sich über zwei Drittel der Meerenge zwischen Insel und Festland. Wenn der Meeresspiegel im frühen Mittelalter nur einige Meter niedriger gelegen hatte, war noch mehr von der Felsplatte bei jeder Ebbe zu trockenem Land geworden. In diesem Fall war die Frage unerheblich, wann die Landbrücke zum Festland eingebrochen war. Die Mönche hatten auf andere Weise zu ihrem Kloster gelangen können, ehe der ansteigende Meeresspiegel diesen Weg schließlich unmöglich gemacht hatte.
    Die beiden Jungen, von denen Derry Costello gesprochen hatte, dürften bei ähnlichen Bedingungen wie diesen hinübergeschwommen sein, und ich stellte mir vor, wie sie sich die Steilwand hinaufmühten, um den grasbewachsenen Hang zu erreichen, auf dem ich lag. Es gab auch Berichte aus dem 19. Jahrhundert von Bauern, die ihre Schafe auf die Insel getrieben hatten, um sie hier oben grasen zu lassen, aber
wie das gegangen sein sollte, überstieg meine Vorstellungskraft.
    Ich kehrte zu den Ruinen zurück und fotografierte sie von innen und außen. Eben wollte ich die kleine Kirche verlassen, als mir auffiel, dass die Erde rund um die Grabplatte in der Mitte aussah, als sei sie frisch umgegraben worden. Ich kniete nieder und sah, dass die Platte auf einer Seite vor Kurzem eingesunken war. Ich fragte mich, was daran schuld sein mochte, und konnte mir nur vorstellen, dass kreuz und quer verlaufende Höhlen von Lunden unter dem Stein das Erdreich geschwächt und den Stein zum Absinken gebracht hatten.
    Ich ging nach draußen und setzte mich mit dem Rücken zu einem überwachsenen Hügel aus Mauerwerk, das vielleicht einmal der Sockel einer Wand gewesen war. Ich holte meinen Zeichenblock hervor, doch ehe ich mich an ein paar Skizzen machte, beschloss ich, etwas Sonnencreme aufzutragen. Als ich mich eben eincremte, bemerkte ich, dass ich beobachtet wurde. Ein Mann und eine Frau hatten sich drüben auf dem Festland an derselben Stelle niedergelassen wie ich vor zwei Tagen. Trotz des heißen Tages trugen sie grüne Anoraks und waren mit Fernglas und Teleskop ausgerüstet, beide direkt auf mich gerichtet. Ich ärgerte mich darüber, so eingehend studiert zu werden, deshalb gab ich ihnen umgehend in gleicher Münze zurück und starrte meinerseits mit dem Fernglas zu ihnen hinüber. Wobei ich dann entdeckte, dass sie gar nicht mich beobachteten, sondern aufs Meer hinausschauten – Vogelbeobachter, die Seevögel auf ihrer herbstlichen Wanderung sehen wollten.
    Ich kümmerte mich nicht weiter um sie und begann, die Ruinen ringsum zu skizzieren. Dabei fiel mir ein, dass der Chor, in dem ich sang, einmal anlässlich einer Priesterordination das
»Mönchsgebet« gelernt hatte, ein frühes irisches Gedicht, das vertont worden war:
    Ich stehe heute auf und blicke aufs Meer,
Die Sonne an meiner Schulter,
Das süße Joch des Erlösers auf dem Rücken.
Über mir singt die Feldlerche,
Wale stöhnen in der Tiefe,
Vom Süden kommt ein warmer Wind.

    Doch bald wird Winter sein:
Krachende Wellen, Regennässe, eisige Gischt
Und das Heulen des Winds.
Lieber Gott beschütze uns auf unserm Felsen,
Doch sollten wir ins Meer gespült werden,
Dann

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