Die Opferstaette
fang uns auf in Deinen Netzen.
Das Gedicht war mir eben wieder in den Sinn gekommen, weil es die spirituelle Wechselwirkung mit der Natur zusammenfasste, die ein Mönch an einem Ort wie Bishop’s Island empfunden haben musste. Und doch war der Gedanke, auf diesem kahlen Felsen zu überwintern, erschreckend. – Konnte es sein, dass die Niederlassung nur während des Sommers bewohnt gewesen war, nicht das ganze Jahr über?
Gegen Mittag nahm ich einen Imbiss zu mir. Während ich meine Sandwiches aß, schaltete ich zum Zeitvertreib mein Handy ein, nur um festzustellen, dass es kein Netz gab. Was sollte ich also tun, wenn ich hier strandete? Zu Touristen auf dem Festland hinüberrufen? Ich sah auf die andere Seite, aber die Vogelbeobachter waren weitergeradelt. Ich entdeckte sie auf der Küstenstraße, wo sie bald darauf aus dem Sattel stiegen, als diese hinter dem Lookout Cliff anstieg.
Ich stopfte die Plastiktüte von meinen Sandwiches in den Rucksack zurück und holte einen Apfel hervor, den mir das Hotel zusammen mit zwei Bananen eingesteckt hatte. Als der Apfel aufgegessen war, hatte ich kein Problem damit, den Butzen wegzuwerfen, da ich wusste, er würde anderen Geschöpfen als Nahrung dienen, etwa den beiden schwarzen Alpenkrähen, die ich nahe der Steinsäule mit ihren roten Schnäbeln im Boden picken sah. Das brachte mich zu der Frage, ob die Mönche einen Abfallhaufen betrieben hatten. Klösterliche Mülldeponien finden sich häufig in der Nähe des Refektoriums, aber hatte ein solches Gebäude auf Bishop’s Island jemals existiert? Es könnte natürlich aus Holz oder Grasnarbe gewesen sein, und man würde nichts mehr davon sehen. Aber der Abfallhaufen würde überdauern. Von allem, was ich ringsum gesehen hatte, war ich am stärksten von einem Erdhügel angetan, der in Form und Höhe anders war als die übrigen grasbewachsenen Erhebungen, denen eingestürztes und überwachsenes Mauerwerk zugrunde lag. Ich schlenderte zu ihm hinüber, kauerte nieder und begann vorsichtig, in der weichen, feuchten Erde zu scharren, nachdem ich ein postkartengroßes Stück Rasen mit meiner Kelle abgetragen hatte. Ich zerkrümelte die Erde zwischen Daumen und Zeigefinger, bis ich auf etwas stieß, das wie ein Stück Gräte aussah. Ich wusste, dass Reste von Fischen an einem solchen Ort nichts Ungewöhnliches waren – Seevögel trugen sie auf die Insel, um sie zu verspeisen.
Ich stocherte ein wenig weiter, und nach ein paar Minuten fand ich die zerbrochene Schale einer Strandschnecke. Meine Hoffnung wuchs. Doch nun hielt ich inne. Was tat ich hier eigentlich? In gewissem Sinn scharrte ich nur ein, zwei Handvoll Erde beiseite. Andererseits machte ich mich an einem Nationaldenkmal zu schaffen, was vielleicht verzeihlich war für
jemanden, der es nicht besser wusste, aber unentschuldbar bei einem Archäologen. Ich dachte darüber nach. Obwohl ich streng genommen für jede Art von Grabung eine Genehmigung des Nationalmuseums brauchte, glaubte ich, mein Vorgehen rechtfertigen zu können – möglicherweise fand ich etwas, das mehr Interesse von offizieller Seite an der Archäologie von Bishop’s Island wecken würde.
In der nächsten Stunde kamen weitere Schalenstückchen ans Licht, ebenso ein Knochen, der möglicherweise von einem Vogel stammte. Und dann tauchte etwas auf, das ich zunächst für ein Stück hartes, braunes Plastik hielt. Ich lachte leise bei der Vorstellung, dass es sich hier womöglich um ein Sammellager von allem möglichen Krimskrams handelte, den eine unternehmungslustige Seemöwe angeschleppt hatte, während die Archäologin glaubte, eine frühmittelalterliche Abfallgrube entdeckt zu haben. Der steife, paddelförmige Gegenstand war dünn und flach, etwa so lang wie meine Hand, aber schmaler. Ich kratzte die restliche Erde fort und sah, dass ein Muster eingebrannt war. Ich identifizierte den Gegenstand als ein Stück Tierknochen, möglicherweise das Schulterblatt eines Schafs.
Das Muster war eine keltische Triquetra, ähnlich dem auf der Kreuzsäule am George’s Head. Ich drehte den Knochen um, und auf der andern Seite waren drei kleine Kreuze, schlichte Pluszeichen, etwa im gleichen Abstand voneinander, die von oben nach unten oder von einer Seite zur anderen verliefen, je nachdem, wie man das Teil hielt.
Das Schulterblatt war ein Probe- oder Motivstück. Ein Muster für Metallarbeiten, illustrierte Handschriften oder andere Kunstgegenstände auf Knochen auszuprobieren, war charakteristisch für
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