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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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zu den drei Kindern. »Ich muss unten etwas Wichtiges erledigen. Wenn ich damit fertig bin, komme ich wieder rauf und spreche mit euch. Wo schlaft ihr?«
    Das erste kleine Mädchen deutete auf die nächste Tür im Flur. Das Zimmer, in dem in meiner Zeit nur kaputte Stühle, Kisten und Bücher untergebracht waren.
    »Also gut«, flüsterte ich, »ich bin in zwanzig Minuten zurück. Versucht, wach zu bleiben.«
    »Das werden wir.« Die drei drehten sich um und begannen, wieder in der Dunkelheit zu verschwinden, als das erste Mädchen noch mal zu mir zurückkam und wisperte: »Kommen Sie mit.«
    Ihre eiskalten und dünnen Finger umschlossen meine Hand, während sie mich zu dem Zimmer führte, in dem Liz geschlafen hatte, bevor sie in mein Zimmer gezogen war. Sehr vorsichtig drückte das Mädchen die Klinke herunter und öffnete leise die Tür.
    »Wessen Zimmer ist das?«, fragte ich.
    »Pschht«, zischte das Mädchen nur.
    Als die Tür weit genug geöffnet war, spürte ich, wie mir eine eisiger Schauder über den Rücken lief. Ein Teil des Zimmers wurde von einem hohen Holzbett dominiert, auf dem drei oder vier Wolldecken lagen. Auf der linken, vom Fenster abgewandten Seite lag Mr. Billings auf dem Rücken, die Augen geschlossen, den Mund weit geöffnet und die
    Arme an seinen Körper gelegt. Er schnarchte sehr laut und hörte sich so an, als würde er sich jeden Augenblick verschlucken. Neben ihm lag Kezia Mason, deren rotes Haar wie eine sich ausbreitende Flamme auf dem Kissen verteilt war. Zu meinem Entsetzen hatte sie die Augen geöffnet und starrte zur Decke.
    Das Mädchen spürte, wie sich meine Finger versteiften. »Alles in Ordnung«, flüsterte sie. »Sie ist nicht wach. Sie schläft immer mit offenen Augen.«
    »Jesus«, sagte ich. Es war ein erschreckender Anblick, Kezia Mason so starr und mit offenen Augen daliegen zu sehen. Ich wollte fast nicht glauben, dass sie schlief und uns nicht sehen konnte.
    Das kleine Mädchen zog die Tür wieder zu.
    »Wo ist Brown Jenkin?«, fragte ich.
    »Ich weiß nicht. Bestimmt irgendwo draußen.«
    »Draußen?«
    »Er schläft nie. Ich sehe ihn nie schlafen. Er rast immer hierhin und dahin. Ich hasse ihn.«
    »Wer ist er eigentlich genau? Er sieht mehr nach einer Ratte als nach einem Jungen aus.«
    »Ja, aber er ist mehr ein Junge als eine Ratte.«
    Das kleine Mädchen ging zurück zum Schlafzimmer und öffnete die Tür. »Übrigens, mein Name ist Molly.«
    Ich musste sofort an einen der Grabsteine denken, die ich rund um die Kapelle gesehen hatte. Ein einfacher Stein mit der Inschrift >Molly Bennett, 11 Jahre alt, Zur rechten Hand von Christus<. Ich konnte Molly einfach nicht fragen, ob sie mit Nachnamen möglicherweise Bennett hieß. Die Vorstellung, dass Brown Jenkin dieses kleine Mädchen in Kürze zu einem seiner üblen >Picknicks< mitnehmen würde ... Ich strich über ihr zerzaustes Haar. Sie war völlig real, auch wenn zwischen uns über hundert Jahre lagen. Wenn ich in den letzten Tagen eines gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass die Zeit auf die Realität der menschlichen Existenz keinen Einfluss hatte. Wenn wir einmal da sind, sind wir immer da.
    Es war ein seltsamer Gedanke, der mich ein wenig traurig stimmte, aber auch tröstete.
    »Ich bin in ein paar Minuten zurück«, sagte ich zu Molly. Dann ging ich die Treppe hinunter und durch den Flur, vorbei an den sonderbaren Aquarellen und Stichen. Ich konnte sie in dem schwachen Lichtschein, der durch das Oberlicht der Haustür fiel, schwach erkennen. Jetzt wirkten sie allerdings noch obszöner und mysteriöser, ein Bildkatalog gynäkologischer Grässlichkeiten. Ich sah verzweifelte Gesichter und entsetzliche Chirurgeninstrumente, sterbende Mütter, die in Stücke geschnitten wurden, um ihre lebenden Kinder zu retten. So schnell ich konnte, lief ich an diesen Bildern vorbei.
    Die Tür zum Wohnzimmer stand offen. Es gab keine Lampen, und es war niemand da. Aber an der Art, wie die Möbel im Raum standen, konnte ich erkennen, dass seit meinem ersten Besuch nur wenige Stunden vergangen waren. Der Kamin war sauber gemacht worden, der Teppich war wieder gerade gerückt worden, aber das waren auch schon die einzigen Hinweise darauf, dass jemand begonnen hatte, hier aufzuräumen.
    Ich ging bis zur Mitte des Zimmers und erreichte die Stelle, an der Dennis Pickering ermordet worden war. Der Boden war feucht und roch streng nach Seife. Offenbar hatte ihn jemand gewischt. Aber Seife und Wasser hatten nicht ausgereicht,

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