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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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den Stufen übrig war. Ich hatte mich immer gewundert, welchem Zweck diese Stifte gedient hatten — jetzt wusste ich es.
    Ich schleppte Pickering zum Strand. Es war gerade Ebbe, sodass ich gut zweihundert Meter auf einem schmalen sandigen Pfad zwischen den Felsen zurücklegen musste. Schließlich hatte ich die ersten Wellen erreicht. Sie umspülten meine Hosenbeine und drangen in meine Schuhe ein. Pickerings Leichnam begann allmählich zu treiben, doch ich zog ihn weiter, bis ich bis zur Hüfte im Wasser watete. Ich versetzte ihm einen Stoß und sah zu, wie er davontrieb, bis nur sein heller Kragen in der Dunkelheit zu sehen war. Ich kannte kein Gebet, sondern dachte mir einfach eines aus. Unter diesem viktorianischen Himmel, in einer Welt, in der Großbritannien immer noch über Indien herrschte, in der die Zaren in Moskau das Sagen hatten, in der Präsident Cleveland in Washington an der Macht war ... in dieser Zeit schickte ich einen Mann aus einer anderen Zeit auf seine letzte Reise, auf dass er seinem Schöpfer begegnete. Ich watete zurück ans Ufer.
     
     
    1886 gab es noch kein Strandcafe, sondern eine Reihe von Cottages, die genauso peinlich sauber und gepflegt wirkten wie 1992. Ich ging den steilen Pfad hinauf, der zurück zum Fortyfoot House führte. Er war nicht geteert, stattdessen knirschten unter meinen Schuhsohlen kleine Steine und lockerer Kies. In der Ferne hörte ich einen Hund bellen, und als ich Lichter blinken sah, wurde ich fast von der Unwirk-lichkeit meiner Situation überwältigt.
    Ich näherte mich dem Gartentor, als ich eine düstere Gestalt bemerkte, die nahe der Hecke stand. Ihr Gesicht war hinter dem überhängenden Efeu verborgen. Ich blieb stehen und starrte in die Finsternis, um festzustellen, ob es sich vielleicht um Brown Jenkin handelte. Wenn er es wirklich war, konnte ich nur die Flucht ergreifen und versuchen, auf einem anderen Weg ins Fortyfoot House zurückzukehren.
    Aber die Gestalt wirkte größer und massiger als Brown Jenkin. Sie gab keinen Laut von sich, während sie da im Schatten des Efeus stand, und hielt die Hände in einer Geste größter Geduld verschränkt.
    »Wer ist da?«, fragte ich schließlich.
    Die Gestalt trat einen Schritt nach vorn, ihr Gesicht wurde von einer Kapuze verdeckt, die der einer Mönchskutte glich. Ich war bereit, sofort loszurennen, als mein Gegenüber die Kapuze nach hinten schob. Es war der junge Mr. Billings, seine Wangen ein wenig narbig. Er roch nach Gin und irgendeinem süßlichen Rasierwasser. Nach einem Moment räusperte er sich. »Erkennen Sie mich nicht?«, fragte er ruhig.
    »Natürlich«, sagte ich.
    »Ich habe Sie beobachtet«, fuhr er fort. »Ich habe gesehen, was Sie da unten am Strand gemacht haben. Indem Sie hergekommen sind, Sir, sind Sie ein großes Risiko eingegangen. Indem Sie zurückgekommen sind, haben Sie das Risiko nur noch größer werden lassen.«
    »Sie und Kezia Mason haben ihn ermordet«, sagte ich mit etwas zittriger Stimme. »Er hatte etwas Besseres verdient, als unter dem Fußboden begraben zu werden.«
    »Oh ... etwas Besseres, sagen Sie? Sie meinen, von Taschenkrebsen gefressen zu werden?«
    »Taschenkrebse, Würmer, was macht das schon? Wenigstens habe ich für ihn gebetet.«
    »Gut für Sie«, sagte der junge Mr. Billings, während er langsam um mich herumging und mich von oben bis unten ansah. »Natürlich hat Ihre barmherzige Tat nichts damit zu tun, dass die Polizei nicht die Leiche von Reverend Pickering in dem Haus finden soll, in dem Sie der einzige denkbare Verdächtige wären.«
    »Das vielleicht auch.«
    Der junge Mr. Billings hielt inne und sah mich an. »Ich habe zwar meine Seele verkauft, Sir, aber ich bin kein Narr.«
    »Das habe ich auch nicht gesagt.«
    Eine Weile dachte er nach, dann sagte er: »Was soll ich Ihrer Meinung nach mit Ihnen machen?«
    »Mein Sohn wartet auf mich«, erwiderte ich.
    »Natürlich. Und Charity wartet auch auf Sie.«
    »Brown Jenkin wollte sie töten.«
    »Sie müssen mir nicht sagen, was Brown Jenkin will.«
    »Haben Sie sich deswegen mit ihm im Garten gestritten?«
    Er senkte den Blick. »Sie haben schon so viele genommen. Vermutlich werden Sie es mir nicht glauben, aber es bricht mir das Herz.«
    Dieses plötzliche Bedauern kam für mich völlig überraschend. Bislang hatte ich geglaubt, dass der junge Mr. Billings und Brown Jenkin - auch wenn sie vielleicht gar nicht miteinander verwandt waren - Hand in Hand gearbeitet hatten.
    »Was haben Sie mit den Kindern

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