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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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Darstellungen von mutierten Tieren und medizinische Darstellungen von schwangeren Frauen, die aus achteckigen Glasbehältern Chloroform einatmeten. Andere Bilder zeigten beunruhigend detaillierte Zeichnungen von Frauen, deren Inneres mit Lampen erhellt und untersucht wurde.
    Ich konnte mir nicht jedes Bild ansehen, aber ich hätte mir keine Sammlung vorstellen können, die noch ungeeigneter für ein Waisenhaus gewesen wäre als diese hier. Jedes einzelne von ihnen war bizarr oder Furcht erregend oder schonungslos gynäkologisch. Es gab den Furcht einflößenden Stich mit dem Titel >Soldatenfrau, die ihrem Ehemann in die Schlacht folgt, von einer Kanonenkugel in zwei Hälften gespalten wird und noch im gleichen Moment ein lebendes Kind zur Welt bringt<.
    Der Reverend hob eine Hand, um mir zu bedeuten, dass ich stehen bleiben und mich ruhig verhalten solle. Wir waren noch etwa einen Meter von der Wohnzimmertür entfernt und konnten nun ganz genau das atemlose hohe Jammern des Mädchens und das verzerrte Kichern von Brown Jenkin und die monotone Stimme des jungen Mr. Billings hören. Das graue Herbstlicht fiel auf den rotbraun gemusterten Teppich, der von Tausenden von Tritten lederbesohlter Schuhe glänzend geworden war. Irgendwo hinter uns, vielleicht aus der Küche, hörte ich klappernde Geräusche. Jemand sang Two Litlle Girls In Blue.
    »Was sollen wir jetzt am besten machen?«, zischte Pickering mir zu. Sein Atem roch nach zu vielen Tassen Tee. So viel zu Liz' Äußerung, Vikare würden üblicherweise Alkohol trinken.
    »Ich weiß nicht. Was können wir machen?« In diesem Moment musste ich an das denken, was Liz gesagt hatte: >Du kannst dich nie entscheiden. Gehen - bleiben - gehen -bleiben. David, um Himmels willen, entscheide dich doch endlich einmal.«
    Ich überlegte immer noch, wie wir vorgehen sollten, als ich eine schneidende überhebliche Stimme hörte, die mich innehalten ließ. Es war die Stimme einer Frau mit einem Cockney-Akzent, der mit dem heutigen genuschelten Cockney kaum etwas gemein hatte. Ohne jeden Zweifel musste das Kezia Mason sein - Schützling des alten Mr. Billings, Geliebte des jungen Mr. Billings.
    »Na, komm schon, du kleines Luder. Der Alte Freund wartet auf dich.«
    Wieder schrie das Kind auf, dann sagte der junge Mr. Billings: »Kezia, das war nicht vereinbart. Zwölf, hast du gesagt, mehr nicht. Zwölf würden genügen. Und bei Gott, zwölf waren schon schlimm genug. Aber nicht mehr als zwölf.«
    »Wann habe ich etwas von zwölf gesagt, mein Liebster?«
    »Du hast von zwölf gesprochen, als wir uns zuerst geeinigt hatten. Jenkin hat ebenfalls zwölf gesagt. Nicht mehr.«
    »Ich sagte zwölf in den Tagen von Queen Dick.«
    »Kezia, du kannst nicht noch mehr nehmen. Was wird Barnardo sagen?«
    »Wir lassen Mazurewicz kommen. Er wird bestätigen, dass sie alle an der Reihe waren.«
    »Verdammt, Kezia, du kannst sie nicht alle haben!«
    »Der Alte Freund nimmt, was er braucht«, erwiderte Kezia. Das Kind schrie unterdessen, ohne Luft zu holen.
    Ich flüsterte Pickering zu: »Klingt so, als ob sie auf uns zukommen. Ich schnappe mir das Kind, und Sie brüllen ihnen etwas entgegen, irgendwas, Gebete, Flüche, einfach gentig, um sie aus der Fassung zu bringen.«
    Uberraschend griff der Reverend nach meiner Hand: »Wenn wir sie mit auf den Speicher nehmen ... in unsere Zeit ... glauben Sie, dass sie überleben wird?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wir befinden uns im Jahr 1886, das Kind ist jetzt und hier zehn oder elfjahre alt. Wenn wir es mit ins Jahr 1992 nehmen, wäre es dort über hundert Jahre alt. Vielleicht bringen wir es im Grunde ebenso um, wie Kezia Mason es macht! Vielleicht sogar auf noch grausamere Weise!«
    Das Kind schrie inzwischen noch lauter, und ich wusste, dass wir irgendetwas unternehmen mussten. »Um Himmels willen, Dennis. Wir haben es hierher geschafft in eine Zeit, in der wir noch nicht auf der Welt sind! Dann wird das umgekehrt genauso funktionieren!«
    Reverend Pickering legte kurz die Hände aneinander und sprach das schnellste Gebet in der Geschichte des Christentums. Dann öffnete er die Augen und sagte: »Also gut, David, wir werden es wenigstens versuchen. Möge Gott mit uns sein!«
    Das Mädchen schrie und schrie. Ich gab Pickering mit der flachen Hand einen Stoß, und dann stürmten wir zusammen durch die Tür ins Wohnzimmer.

12. Der Teufelsdaumen
      Niemals werde ich den albtraumhaften Anblick, der sich uns bot, als wir in das Zimmer stürzten, vergessen

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