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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Rosa ähnlich. Rosa vermutete, sie seien Europäer. Wir beobachteten sie, wie sie stundenlang die herumliegenden Steine und die Überreste des alten Babylon beäugten. Trotz unserer kindlichen Neugier blieben wir aber immer in einer gewissen Entfernung, weil Kinder allein nicht dorthin durften, wie uns die Wache einmal zurief, als wir, mutigergeworden, tiefer in die historischen Stätten vorgedrungen waren.
    Rosa, Jack und ich konnten relativ gut Englisch. Ich habe diese Sprache nicht nur in der Schule gelernt, sondern auch von Jack und Rosa. Schließlich sprachen sie das ja zu Hause. Ihre Mutter hatte die beiden unterrichtet. Sie war oft in England gewesen. Ihr Bruder wohnte und arbeitete dort. Außerdem hatte sie die Absicht, ihre Kinder später in England studieren zu lassen. Deswegen bestand sie auch darauf, dass zu Hause nur Englisch gesprochen wurde. Meine Mutter konnte kein Englisch. Die meisten Leute im KurdenViertel konnten das nicht, nur die Christen. Meine Mutter behauptete, es sei ganz normal, dass die Christen Englisch sprächen. Sie sähen ja schließlich genauso blass aus wie die Christen in Europa, die man im Fernsehen zu Gesicht bekam. »Ich glaube, alle blassen Leute können Englisch«, schloss meine Mutter ihre Erklärungen ab, und sie hatte recht damit. Jack, Rosa und ihre ganze Familie sahen allesamt wirklich blass aus, wie der Kraft-Käse, der seit Kriegsbeginn der einzige im Land erhältliche Käse war. Ich dagegen sah »braun und staubig« aus, wie Jack zu sagen pflegte. Aber trotzdem fanden sie mich schön und ich sie auch. Rosa mit ihrem rötlich-braunen Haar vergötterte ich, als sei sie das schönste wilde Reh in ganz Babylon, so wie Jack, den ich als das charmanteste blonde Zebra des ganzen Irak bewunderte.

    Mein Leben im Kurdenviertel war angenehm: arbeiten im Gemüsegeschäft, mit Jack oder mit Rosa herumstreunen, Schule, und mehr gab es nicht. Ich war zufrieden. Und stolz war ich auch, als Jack und ich es geschafft hatten, unsere beiden Familien zu befreunden. Seine Mutter besuchte meine und umgekehrt.
    Normalerweise feierten die Christen ihre Feste und wir unsere.Ich freute mich sehr, wenn Weihnachten vor der Tür stand. Zwei Mal war ich bereits bei meinen christlichen Freunden eingeladen gewesen und hatte auch Geschenke erhalten. Jack und Rosa freuten sich ihrerseits auf das Fastenoder Opferfest, weil auch sie Geschenke und leckeres Essen von meiner Mutter bekamen.
    Auf meiner ersten Weihnachtsfeier war ich zwölf Jahre alt. Jacks Familie aß an diesem Abend Schwein. Für mich hatte Jacks Mutter extra Rindfleisch gebraten, denn Schwein durfte ich ja nicht essen. Meine Mutter erklärte mir, einem Muslim sei das verboten, weil Schweine unrein und deshalb von Gott verachtet seien. Eigentlich seien Schweine einmal Menschen gewesen, die Gott in Schweine verwandelt hatte, weil sie in ihrem Inneren unrein gewesen seien, und wenn man Schwein esse, verliere man sein Eifersuchtsgefühl. Ich dachte damals, meine Mutter habe bestimmt recht, weil Jacks Vater nie eifersüchtig war, wenn seine Frau ein ärmelloses, tief ausgeschnittenes Kleid trug. Meine Mutter dagegen trug niemals solche Kleider, sondern immer ein langes Gewand und einen Schleier, wodurch alle Körperteile lückenlos bedeckt wurden. Ich aber hatte kein Problem damit, dass Jacks Mutter wie ein kleines Mädchen mit einem ärmellosen Kleid herumlief. Im Gegenteil, ich fand das sogar hübsch. Am Anfang brachte es mich schon in Verlegenheit, wenn ich sie in solchen Kleidern sah, aber im Laufe der Zeit gewöhnte ich mich daran und schämte mich nicht mehr.
    Am Heiligen Abend las Jacks Vater aus der Bibel vor. Danach begannen wir mit dem Essen. Der Vater und die Mutter tranken Rotwein. Ich saß neben Rosa, die Fleisch nicht mochte und deswegen nur Reis und Salat bekam. Als ihr Vater sich Wein in sein Glas goss, flüsterte sie mir verschwörerisch zu: »Ihr trinkt keinen Wein, ich weiß. Aber weißt du, was wir in der Kirche sagen?«
    »Was?«
    »Wein ist das Blut von Christus.«
    »Machst du Witze!?«
    »Nein. Echt. Glaub mir! Stell dir mal vor! Meine Eltern trinken jetzt Blut!«
    Ich schaute sie völlig entgeistert an.
    »Ja. Erinnerst du dich an den Film, der vor Kurzem im Fernsehen lief? Dracula? Meine Eltern sind von dieser Sorte. Einfach Blutsauger. Ich glaube, sie werden heute, wenn ihre Flasche leer ist, aus deinem Blut Wein machen.«
    Erschrocken dachte ich, Rosa habe das wirklich ernst gemeint. Aber sie prustete plötzlich

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