Die Orks
Fünkchen des Zorns, den seine Neuigkeit in ihr entfacht hatte. Sie hatte genug von Rückschlägen, und wenn er sie mit noch mehr konfrontierte, würde es ihn das Leben kosten. Doch zunächst reichte es ihr, ihn als Versager zu brandmarken. Buchstäblich. Eine unbestimmte Zeitspanne verstrich, in der sie über die Ereignisse nachdachte. Sie endete, als mehrere Mitglieder ihrer persönlichen Ork-Leibgarde eintrafen und dabei eine peinliche Zurschaustellung der Unterwürfigkeit veranstalteten. Sie brachten ihr einen mit Ketten gefesselten Gefangenen. Ein Opfer, um ihre Kräfte aufzufrischen, wenn auch nur vorübergehend. Trotz ihrer Laune weckte sein Anblick Jennestas Neugier. So viele Rassen, so großer Appetit, so wenig Zeit. Sie hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, einen Nappee zu kosten. Nappees waren Wald- und Wiesennymphen, eine seltene, scheue Rasse, die man nicht oft zu Gesicht bekam. Dieser war ein besonders schönes Exemplar. Die Kreatur war mit etwa drei Fuß groß für ihre Rasse. Sie war schlank und mit ihrer glänzenden Haut auf zierliche Art schön. Manche behaupteten, Nappees hätten zwei Herzen. Das herauszufinden würde Jennesta eine Zeit lang von ihren Nöten ablenken.
Der Regen hatte endlich aufgehört. Stryke gestattete eine kurze Erholungspause, und der Trupp lagerte in einer windgeschützten Bucht.
Dämmerlicht trübte den Himmel, und die Aussicht beschränkte sich auf bedrohliche Wolken über einem schwarzen, windgepeitschten Ozean. Nach dem Essen zogen Coilla und Stryke sich ein wenig von den anderen zurück. Sie saßen auf Pferdedecken und unterhielten sich eine Weile über den Angriff der Gremlins, wobei sie sich eine Feldflasche mit Wein teilten, die ihnen die Zentauren zum Abschied geschenkt hatten. Doch Müdigkeit, die Wärme des Alkohols und vor allem anderen das Bedürfnis, seine Bürde zu teilen, übermannten Stryke. Er lenkte das Gespräch auf seine bizarren Träume. Es dauerte nicht lange, bis Coilla alles wusste.
»Bist du sicher, dass dieser Ort in deinen Träumen nicht irgendwo in einer Gegend ist, die du kennst?«, fragte sie.
»Irgendwo in der… wirklichen Welt, meine ich.«
»Ja. Allein das Klima ist schon ungewöhnlich. Wann haben wir Maras-Dantien je gesehen, wie es eigentlich sein sollte und wie es einmal war?«
»Dann hast du ihn vielleicht selbst erschaffen«, spekulierte sie.
»Dein Verstand hat irgendwie erschaffen, was du gern in Wirklichkeit hättest.«
»Um nicht zu sagen, ich sei verrückt.«
»Nein! So habe ich das nicht gemeint. Du bist nicht verrückt, Stryke. Aber wenn die Welt vor die Hunde geht, ist es nur natürlich, wenn man will, dass…«
»Ich glaube nicht, dass es das ist. Wie ich schon sagte, diese Träume oder Visionen sind so wirklich wie das Wachsein. Na ja, beinahe.«
»Und du siehst jedes Mal dieselbe Frau?«
»Ja. Und es ist auch mehr als ein Sehen. Ich… begegne ihr, rede mit ihr, wie ich es auch tue, wenn ich wach bin. Mit dem Unterschied, dass nicht alles, was sie sagt, einen Sinn ergibt.« Coilla runzelte die Stirn.
»Das ist ungewöhnlich für Träume. Und du hast sie noch nie zuvor in deinem Leben gesehen?«
»Ich hätte mich erinnert, glaub mir.«
»Du sagst das so, als gäbe es sie wirklich. Das sind doch nur Träume, Stryke.«
»Tatsächlich? Ich nenne sie nur so, weil mir nichts Besseres einfällt.«
»Sie ereignen sich, wenn du schläfst, oder nicht? Was sollten sie also sonst sein außer Träume?«
»Es hat mit dem Gefühl zu tun, das ich habe…« Er schüttelte enttäuscht den Kopf.
»Ich kann es nicht in Worte fassen. Du müsstest es selbst erleben.«
»Lass uns das jetzt mal klar stellen«, sagte sie kategorisch.
»Was passiert deiner Ansicht nach mit dir, wenn es keine Träume sind?«
»Es ist wie… vielleicht bin ich nicht mehr so auf der Hut, wenn ich schlafe, und dadurch… lasse ich etwas ein.«
»Du solltest dich selbst hören. Das klingt nicht sehr vernünftig.«
»Nein, nicht wahr? Aber ich weiß, dass ich mich allmählich dem Punkt nähere, wo ich nicht mehr schlafen will.«
»Du hast diese… Träume jedes Mal, wenn du schläfst?«
»Nein, nicht jedes Mal. Und das macht es irgendwie nur noch schlimmer. Es ist so, als würde immer gewürfelt, wenn ich schlafen muss.« Sie wog ihre nächste Bemerkung sorgfältig ab.
»Wenn es keine Träume sind, gibt es noch eine Möglichkeit, die man berücksichtigen sollte. Könnten sie ein magischer Angriff sein?«
»Von Jennesta, meinst du?«
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