Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
zu mögen. »Ich überlege noch«, erwiderte sie.
»Aber Sie brauchen mich weiterhin?« Aus seinem Blick sprach Hoffnung.
»Sicher. Mir wird was einfallen.«
Sie hatte keine Ahnung, was. Egal. Zeit, ihn rauszuschmeißen. Sollte er in seinem Zimmer von ihren Beinen träumen.
Er ging und zog die Tür hinter sich zu.
Wer Deborah betrachtete, wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie in ihrem ganzen Leben bisher mit genau zwei Menschen Geschlechtsverkehr gehabt hatte.
Sie war diejenige, die sich ihre Partner aussuchte.
Und die beiden hatte sie bewusst gewählt, um einen Vorteil davon zu haben.
Der eine war der Professor gewesen, der die entscheidende Prüfung im Fach Musikwissenschaft an der kalifornischen Universität abnahm, wo Deborah studiert hatte. Sie hätte ohne Probleme ihr Studium geschafft, aber es ging ihr darum, die Bestnote zu erreichen. Und das zu schaffen war das Einfachste von der Welt. Sie hatte schon lange bemerkt, dass der knapp sechzigjährige Professor Charles W. Thomson, seines Zeichens einer der bedeutendsten amerikanischen Experten auf dem Gebiet der italienischen Barockmusik, ein Auge auf sie geworfen hatte. Dass er jedes Mal, wenn sie mit ihm alleine in seinem Büro gewesen war, zu schwitzen begann und sich mit einem Taschentuch die Glatze wischen musste.
Deborah hatte das Spiel eine Weile weitergetrieben, ihre Röcke immer kürzer werden lassen und den Professor ein wenig überprüft. Eine ziemlich hässliche Frau, zwei Kinder. Das war seine Familie.
Strategisch geschickt war sie nach und nach auf seine Avancen eingegangen – hatte es so eingerichtet, dass sie in der Mittagspause zusammen in der Mensa an einem Tisch gesehen wurden. Wobei sie natürlich nur den Lehrstoff und die Bibliografie der Examensarbeit besprachen.
Thomson konnte kaum an sich halten, wenn er sie sah. Immer wieder suchte er neue Gelegenheiten, sie in sein Büro zu zitieren, um dann offiziell Unwichtiges mit ihr zu besprechen – inoffiziell, um ihr auf die Beine und in den Ausschnitt zu starren.
Als er sie später dann einmal abends in sein Büro bestellte, um – wie er sagte – die Gliederung ihrer Abschlussarbeit noch einmal durchzugehen, war Deborah klar, was die Stunde geschlagen hatte.
Sie überlegte genau, was sie anzog. Zum Glück war der Abend mild, sodass ein kurzer Rock mit Sweatshirt geeignet war. Dazu flache Schuhe und Kniestrümpfe. Sie glaubte mitbekommen zu haben, dass Thomson auf den Schulmädchentyp stand.
Nach einer halben Stunde war alles vorbei.
Bald darauf nahm Deborah bei der feierlichen Urkundenverleihung ihr Abschlusszeugnis entgegen. Das Ergebnis war das erwünschte.
Vier Monate später war Deborah in der Schlussrunde für ein Forschungsstipendium in Paris. Außer ihr gab es noch zwei andere Kandidaten: einen schmächtigen Deutschen, der mit seinen siebenundzwanzig Jahren immer noch so aussah, als sei er gerade sechzehn geworden, und eine mausgraue, unansehnliche Amerikanerin, die wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben nichts anderes als fensterlose Archivräume und Bibliotheken gesehen hatte.
Diesmal lag der Fall anders: Über die Vergabe entschied eine Frau. Eine herbe Dunkelhaarige mit Kurzhaarfrisur, die einen Tick für Cargohosen besaß. Wenn man sie von Weitem sah, hatte man den Eindruck, es mit einem Soldaten zu tun zu haben.
Deborah war klar, dass sie diesmal diejenige war, die Einsatz zeigen musste. Dabei reagierte Yvonne Claudet, wie die Leiterin des Forschungsprogramms hieß, zuerst wie ein Mann: Blicke auf Deborahs Beine und in den Ausschnitt, dann die obligatorischen Einladungen. Offenbar machte Deborah ihre Sache gut, denn sie bekam den Job.
Sie klappte ihren Laptop auf. Ein paar Dateien mit Informationen über die Orphiker und die Violine waren noch geöffnet. Deborah seufzte, als sie sie schloss.
Routinemäßig klickte sie auf ihr Mailprogramm. Sehr schnell wuchs der Balken, der den Ladevorgang der eingegangenen Nachrichten anzeigte.
Es waren nicht viele. Ein bisschen Spam. Einige Antworten von Internet-Suchaufträgen, die Deborah eingerichtet hatte.
Und …
Sie stutzte.
Eine Nachricht aus Twinworld.
Von Mara.
35
Jakob bewegte die Maus neben der Tastatur, und der große Bildschirm wurde hell.
»Twinworld?«, fragte er. »Du hast Deborah in dieser virtuellen Welt getroffen?«
»Am Anfang haben wir uns natürlich normale Mails geschrieben, aber dann habe ich erwähnt, dass ich mich ab und zu in Twinworld herumtreibe, und sie hat vorgeschlagen, sich dort zu
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