Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
nicht zurück.
Der Morgen graute, als Mara am Potsdamer Platz ankam. Sie setzte sich im Gewühl des ersten Berufsverkehrs auf die Bank einer Bushaltestelle und tat es vielen gleich, die schon so früh unterwegs waren.
Der Akku ihres Laptops war zu zwei Drittel voll. Das gab ihr etwa zwei Stunden.
Sie ging online, suchte die letzte Mail von Orpheus heraus und klickte auf »Antworten«. Schon öffnete sich das Textfenster. Bevor sie jedoch zu schreiben begann, zögerte sie. Ihre Finger schwebten über der Tastatur.
Bist du dir ganz sicher, dass du das Richtige tust?
Du vertraust dich einem völlig Fremden an.
Aber es ist kein Fremder. Er kennt mich. Und er weiß etwas von mir. Im Gegensatz zu Deborah.
Aber Deborah hat dir ganz ehrlich geholfen. Sie hat herausgefunden, wer deine Mutter war. Ist es denn gerecht, sie fallen zu lassen, nur weil du glaubst, sie spiele ein betrügerisches Spiel mit dir?
Ich glaube es nicht, ich weiß es. Sie hat die Violine gestohlen. Zumindest steckt sie hinter dem Diebstahl. Sie hat mich hintergangen.
Und wenn dem so ist, wäre es nicht gerecht, mit ihr darüber zu sprechen, bevor du dich von ihr lossagst und sie deinerseits hintergehst? Noch wäre Zeit, an den Kleinen Wannsee zurückzukehren.
Mara biss sich auf die Zunge. Warum kamen ihr gerade jetzt solche Zweifel? Sie hatte doch alles bedacht. Deborah glaubte, hinter diesem Orpheus stecke ein Irrer, der sie fertigmachen wollte. Das war aber nicht der Fall. Stattdessen hatte Deborah etwas vor, über das sie nicht mit Mara sprechen wollte.
Sie verbannte die Stimmen aus ihrem Kopf und tippte eine Nachricht.
Bitte nehmen Sie noch einmal mit mir Kontakt auf.
Und bitte beweisen Sie, dass Sie mir wirklich etwas zu sagen haben. Nennen Sie mir den Namen meiner Mutter.
Bitte antworten Sie schnell.
Sie schrieb noch nicht einmal ihren Namen darunter. Sie wollte es so kurz wie möglich machen. Kein Buchstabe zu viel.
Absenden. Fertig.
Und nun?
Sollte sie warten, bis sich der Unbekannte meldete? Was, wenn das den ganzen Tag dauerte? Sie konnte nicht hiersitzen, bis der Akku wieder leer war. Hätte sie ihm ihre Telefonnummer geben sollen? Nein, so nah wollte sie ihn nicht heranlassen. Das Internet reichte.
Sie klappte das Gerät zu, packte es in ihren Rucksack und wollte aufstehen. Unter einer Straßenlaterne stand jemand und sah sie an. Der Mann mit den eng zusammenstehenden Augen.
Mara tat so, als habe sie ihn nicht gesehen, geschweige denn erkannt.
War er Orpheus?
Wenn ja, stellte sich die Frage, warum er ihr einfach nur nachging, ihr geradezu nachspionierte, ohne sie anzusprechen. Was hatte er davon, dass er sie auf Schritt und Tritt überwachte? Und wie hatte er sie überhaupt gefunden?
Wusste er, dass sie am Kleinen Wannsee übernachtet hatte? Hatte er sie von dort aus verfolgt?
Sie bekam eine Gänsehaut. Mit einem Schlag fühlte sie sich vollkommen ausgeliefert. Als könne dieser seltsame Typ Gedanken lesen.
Sie wandte sich ab und tat so, als habe sie ein klares Ziel vor Augen. Sie überquerte den Platz und bog aufs Geratewohl in eine Straße ein. Als sie an eine Haltestelle kam, an der gerade ein Bus hielt, nutzte sie die Gelegenheit. Sie ließ sich von dem Strom der Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit waren, hineinspülen, fuhr zwei Stationen und stieg wieder aus. Was einmal funktioniert hatte, konnte auch ein zweites Mal funktionieren.
Sie lief ziellos weiter. Schließlich betrat sie eine Bäckerei, wo auch Frühstück angeboten wurde, ging hinein, bestellte sich Kaffee und ein Brötchen und setzte sich ganz nach hinten.
Hier klappte sie wieder ihr Notebook auf.
Kurz darauf war sie online.
Orpheus hatte geantwortet.
Auch er hatte sich kurz gefasst.
Tamara.
Darunter befand sich ein komplizierter, langer Link.
Ich erwarte Dich dort.
Passwort: Der Nachname Deiner Mutter.
Mara klickte, der Browser öffnete sich, und sie fand sich in einem Chatroom wieder. Er saß also in diesem Moment am Rechner. Sie konnten sich unterhalten. Sie loggte sich ein, und sofort erschien Text im Dialogfeld.
Ich freue mich, dass Du da bist. Und dass ich Dein Vertrauen besitze.
Verfolgen Sie mich?
Warum?
Weil ich verfolgt werde. Von einem Mann. Seit Tagen schon. Es hat alles etwas mit der Violine zu tun.
Stell Dein Handy aus.
Glauben Sie, mein Verfolger nutzt es, um mich zu finden?
Das ist keine Frage des Glaubens. Es ist möglich, und Deine Verfolger haben die technischen Mittel dazu.
Wer sind meine Verfolger? Sind es
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