Die Päpstin
fiel. Aus den Steinbrüchen kam ein unablässiger Strom an Baumaterial von
guter Qualität, und die Arbeiter wurden zunehmend geübter, arbeiteten Seite an Seite, besser aufeinander eingespielt.
Unter diesen günstigen Bedingungen wuchs die Mauer stetig. Zu Pfingsten war die oberste Reihe der Steine mannshoch. Jetzt
gab es niemanden mehr, der das Vorhaben als närrisch bezeichnete, und niemand beklagte sich über die Zeit, das Geld und die
Arbeitskraft, die für den Bau der Mauer verwendet wurden. Statt dessen wuchs in den Römern Stolz auf ihr Werk heran, das sich
an Größe mit den Monumenten des versunkenen Imperiums messen konnte, als derartige Bauwerke keine Seltenheit, sondern beinahe
alltäglich gewesen waren. Wenn die Mauer fertig war, würde sie gewaltig sein, monumental – eine riesige Barriere, die nicht
einmal die Sarazenen durchbrechen oder erklettern konnten.
Doch die Zeit wurde knapp. An den Kalenden des Juli trafen Boten mit erschreckenden Nachrichten in der Stadt ein: Eine sarazenische
Flotte sammelte sich bei Totarium, einer kleinen Insel vor der Ostküste Sardiniens, um einen weiteren Angriff auf Rom vorzubereiten.
Anders als Sergius, der auf die Kraft des Gebets vertraut |466| hatte, um die Stadt zu schützen, schlug Leo eine aggressivere Taktik ein. Sofort schickte er Boten in die mächtige Hafenstadt
Neapel und bat die dortigen Herrscher, eine Flotte bewaffneter Schiffe loszuschicken, um den Feind bereits auf See anzugreifen.
Der Plan war kühn – und riskant, denn offiziell war Neapel noch immer Byzanz zur Bündnistreue verpflichtet, wenngleich es
in Wahrheit seit Jahren unabhängig war. Würden die Mächtigen von Neapel den Römern in der Stunde der Not beistehen, oder würden
sie die Gelegenheit nutzen und ihre Streitkräfte mit denen der Sarazenen vereinen, um zugunsten ihres offiziellen Verbündeten
Byzanz einen Schlag gegen den Apostolischen Stuhl zu führen? Leos Plan steckte voller Gefahren. Doch welche Alternative gab
es?
Zehn Tage wartete die Stadt voller Anspannung, was geschehen würde. Als die neapolitanische Flotte schließlich in Porto an
der Mündung des Tiber eintraf, zog Leo unter dem Schutz einer großen Eskorte schwerbewaffneter päpstlicher Gardisten, die
von Gerold befehligt wurden, wachsam aus der Stadt, um sich mit den Heerführern aus Neapel zu treffen.
Die Ängste der Römer verflüchtigten sich, als Caesarius, der Kommandeur der neapolitanischen Flotte, vor Leo auf die Knie
fiel und dem Papst demütig die Füße küßte. Leo – der sich das volle Ausmaß seiner Erleichterung vorsichtshalber nicht anmerken
ließ – segnete Caesarius und stellte die geheiligten Körper der Apostel Petrus und Paulus feierlich unter den Schutz des Neapolitaners.
Rom hatte die erste Würfelrunde des Schicksals glücklich überstanden; vom nächsten Wurf hing ihrer aller Zukunft, ja, ihr
Leben ab.
Am Morgen darauf erschien die sarazenische Flotte. Die breiten Lateinsegel der Schiffe erstreckten sich wie die geöffneten
Krallen eines Ungeheuers, die nach Rom packen wollten, am Horizont. Verängstigt zählte Johanna die Segel – fünfzig, dreiundfünfzig,
siebenundfünfzig – immer mehr erschienen – achtzig, fünfundachtzig, neunzig – gab es überhaupt so viele Schiffe auf der Welt?
– einhundert, einhundertzehn, einhundertzwanzig!
Deo, iuva nos!
Die neapolitanische Flotte war nur einundsechzig Schiffe stark; nahm man die sechs römischen |467| Biremen hinzu, die noch seetüchtig waren, ergab sich eine Gesamtzahl von siebenundsechzig Schiffen, so daß der Gegner knapp
zwei zu eins überlegen war.
Leo stand auf der Treppe der Kirche Santa Aurea in Porto und betete den verängstigten Einwohnern des Ortes vor: »O Herr, der
du Petrus davor bewahrt hast, im Wasser zu versinken, als er über die Wellen schritt, der du Paulus davor bewahrt hast, vom
Meer verschlungen zu werden, erhöre uns. Verleihe deinen Streitern Kraft, die deine gläubigen Diener sind und die Feinde deiner
Kirche bekämpfen, auf daß durch ihren Sieg dein geheiligter Name auf dem ganzen Erdkreis gepriesen werde.«
Das inbrünstige »Amen« der Gläubigen, die sich vor der Kirche versammelt hatten, ließ die Luft erzittern.
Vom Deck des vorderen Schiffes aus erteilte Caesarius mit Donnerstimme seine Befehle. Die Neapolitaner legten sich in die
Riemen; die Muskeln der Männer spannten sich. Für einen Augenblick standen die schweren Biremen
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