Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
es »geschafft« zu haben.
Mein Schwager Jeremy arbeitete wie mein Bruder Philip auf dem London City Airport. Anna war seit zwei Jahren Mutter und arbeitete seither nicht mehr. Sie konnten sich keine Nursery leisten und Anna schien es zu Hause mit dem kleinen Jacob gut zu gefallen. Sie hatte Kontakt zur gesamten Nachbarschaft, wo viele Frauen wegen ihrer Kinder gezwungen waren zu Hause zu bleiben. Sie trafen sich regelmäßig entweder zum gemeinsamen Frühstück um acht oder um elf zum »Bettsekt«. Anna hatte sich innerhalb kurzer Zeit zu einem Zentrum der Straße entwickelt. Wenn ich bei ihr war, schellte andauernd das Telefon oder die Haustür.
Im Moment stand ich vor eben dieser Tür mit Sprechanlage, die jeden Vertreter in die Flucht schlagen konnte. Zwar wusste ich, dass die Kamera nur Attrappe war, aber gepaart mit der forschen Stimme, die aus dem Lautsprecher mit einem blechernen »Wer da?« tönte und dem anschließenden Krächzen des elektrischen Öffners (den sicher sämtliche Nachbarn hörten) fühlte ich mich, als würde ich in Fort Knox eindringen.
»Komm rein«, ertönte aus dem Dunkel der Wohnung ihre Stimme über das Kindergeschrei hinweg.
Ich betrat das Haus und fand Anna in der Küche, wo sie versuchte, Jacob Kartoffeln und Spinat füttern. Er wehrte sich vehement und schlug ihr dauernd den Löffel aus der Hand.
»Jacob, das ist gesund und du musst es essen«, belehrte Anna den Zweijährigen mit ziemlicher Ungeduld in der Stimme. Als sie mich in der Tür stehen sah, ließ sie erschöpft den Löffel sinken. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, damit er isst. Spinat ist so wichtig für die Knochen und er weigert sich.«
Das konnte man sehen. Jacob nutzte den unbeobachteten Moment, um den vollen Teller auf den Küchenboden zu pfeffern.
Anna seufzte und begann aufzuwischen. Sie erinnerte mich ein wenig an Mrs Collins. Kurz darauf tätschelte sie Jacob liebevoll den Kopf und gab ihm einen Schokoriegel, damit das Geschrei aufhörte.
»Findest du das klug?«, fragte ich und betrachtete Jacob, der freudig strahlend an der Schokolade lutschte und bald die Wangen bis zu den Ohren beschmiert hatte.
»Bekomm erst mal selber Kinder, ehe du über die Erziehungsmethoden anderer urteilst«, fauchte mich Anna an.
Ich zuckte innerlich die Schultern. Das ging mich ja nichts an, sie musste mit ihrem Sohn klarkommen. Ich war wegen was anderem hier. »Anna, ich brauche deine Hilfe«, kam ich zum Punkt. »Hast du noch dein Abendkleid vom Abschlussball? Das Blaue?« Das Kleid von George war zwar wunderschön, aber ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich es dem Star Club nicht vorführen wollte.
Anna sah mich überrascht an. »Hat dich tatsächlich mal jemand gefragt?«
»Nein, aber meine Clique geht geschlossen hin«, antwortete ich trocken.
»Welche Clique?«, fragte Anna.
Da war es wieder. Phyllis, Nicole, Corey, Ruby, Jayden und ich waren seit über sieben Jahren beinahe unzertrennlich, aber Anna dachte noch immer an mich, wie ich mit zehn Jahren aus Cornwall nach London gekommen war und mich das erste halbe Jahr schwer getan hatte, jemanden kennen zu lernen. Wahrscheinlich sah ich in ihren Gedanken, auch noch so aus: klein, pummelig, in eine Schuluniform gepresst, mit langen, zauseligen Zöpfen. Es überraschte mich auch nicht, dass sie nicht weiter nachfragte, sondern meine Aussage, wir gingen geschlossen in der Clique zum Ball, einfach hinnahm.
»Warte, ich muss auf dem Speicher nachschauen. Da müsste es noch sein. Pass so lange auf Jacob auf!«
»Klar«, sagte ich. Obwohl mein Neffe aussah wie ein Engelchen von Raffael, war er alles andere als das. Er beäugte mich misstrauisch, als Anna die Küche verlassen hatte.
»Du bist ein kleiner verwöhnter Fratz«, sagte ich leise zu ihm.
Er lutschte weiter seinen Riegel.
Ich schnappte mir einen Küchenlappen und wischte noch einmal nass über die Spinatreste am Boden. Nach den Spuren auf dem Lappen zu urteilen, war der Boden schon länger nicht mehr geputzt worden. Ich legte den Lappen schnell zurück in die Spüle.
»Na, sollen wir ein Buch lesen?«, fragte ich Jacob und nahm ihn aus dem Hochstuhl.
Er trottete sofort in seine Spielecke und kam mit einem kleinen Bagger zurück.
»Okay, dann spielen wir halt mit dem Bagger«, gab ich nach. Wir waren gerade dabei, eine Hindernisbahn für den Bagger aufzubauen, als Anna wieder auftauchte.
»Hier ist es.« Sie hielt ein petrolfarbenes Kleid hoch. Es war ohne jegliche Schnörkel, bodenlang mit
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