Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
flüchten. Andererseits, warum nicht? Zu Hause vorm Fernseher oder mit einem Buch hätten wir vielleicht besinnlichere Weihnachten als hier. Trotzdem hörte ich mich sagen: »Anna hat gekocht. Meinst du nicht, sie wäre beleidigt, wenn wir nicht kämen?«
Mutter zögerte, nickte aber dann. Ich klingelte.
Die zankenden Stimmen verstummten nicht; Annas wurde sogar noch lauter, als sie näher kam. Mit einem letzten gebrüllten »Leck mich!« öffnete sie uns die Tür. »Hallo«, sagte sie knapp und verschwand wieder im Haus.
Ich leistete Mum im Stillen Abbitte. Wir hätten doch einfach gehen sollen. Das hier fing ja gut an. Stumm betraten wir das Haus.
Hier sah es aus wie immer. Kein Hinweis auf Weihnachten. Jacobs Schuhe lagen schmutzig und quer verstreut im Flur neben dem Bobbycar und – war das Jeremys Hochzeitskrawatte? Wenn ja, war sie jetzt hinüber, so zerknüllt und verschmutzt. Wir zogen unsere Jacken aus und hängten sie an die überfüllte Garderobe.
»Riechst du das?«, fragte Mum leise.
Ich schnupperte. Es roch angebrannt.
Jacob hatte wieder angefangen zu plärren, Anna schrie Jeremy an und der brüllte zurück. Ich seufzte. Das würde ein langer Heiligabend werden. Als wir ins Wohnzimmer kamen, sahen wir die Ursache des Streits. Der Weihnachtsbaum stand kahl und geknickt da. Anna hielt Jacob schützend auf dem Arm, Jeremy kochte vor Wut und seine Mutter hockte auf dem Boden und fegte Scherben von Christbaumkugeln auf.
»Er ist doch noch so klein!«, fauchte Anna.
»Er weiß genau, was er darf und was nicht«, schrie Jeremy zurück. »Und er weiß genau, dass du ihm alles durchgehen lässt.«
Jeremys Mutter hatte uns entdeckt und lächelte verlegen. »Jacob hat den Baum umgeworfen«, erklärte sie leise.
»Weil Jeremy ihn nicht richtig befestigt hat«, zischte meine Schwester.
»Ich hatte ihn richtig befestigt. Das kleine Monster hat sich an diesen Ast gehängt und daran geschaukelt.«
Jacob klammerte seine dicken Ärmchen hilfesuchend um den Hals seiner Mutter und verbarg sein Gesicht an ihrem Nacken.
»Du bezeichnest dein Kind als Monster!« Und dann schrie Anna ein Schimpfwort, das »Monster« sehr harmlos erscheinen ließ.
»Ist Philip noch nicht hier?«, fragte Mum leise.
»In der Küche mit Carl«, lautete Jeremys schroffe Antwort.
Mum kniete neben Mrs Beckett und half ihr beim Aufsammeln des Weihnachtsschmucks.
Jetzt roch ich den Brandgeruch viel deutlicher und flüchtete ebenfalls in Richtung Küche.
»Oh, hey, Felicity«, grüßte mich mein Bruder. Aus dem Ofen hinter ihm quollen dunkle Rauchwolken.
»Hallo, Felicity«, grüßte auch Carl, Jeremys Bruder.
Ich schnappte mir ein paar Küchentücher und öffnete den Backofen. »Die Küche steht bald in Flammen und ihr merkt es nicht«, warf ich ihnen leise vor. Der Schinken war restlos verkohlt. Ich öffnete ein Fenster.
»Ach, ist uns gar nicht aufgefallen«, meinte Philip und nahm einen tiefen Schluck aus einer Flasche Bier.
Carl musterte mich. Er war jünger als Jeremy, aber größer, kräftiger und sah besser aus. Allerdings war er sich dessen durchaus bewusst und glaubte, er sei ein Geschenk Gottes an die Frauen. Bisher hatte er noch kaum zwei Sätze mit mir gewechselt. Dafür flirtete er jedes Weihnachten hemmungslos mit Anna. Aber diesmal war sein Blick anders. Nicht flüchtig sondern … intensiv, so als sähe er mich zum ersten Mal wirklich an.
»Warst du schon immer so dünn, City?«, fragte er und ich sah seinen Blick auf meinen Hüften.
Philips Blick folgte ihm. Ich verschränkte die Arme auf Bauchhöhe.
»Steht dir«, sagte Carl, nahm ebenfalls einen Schluck aus seiner Flasche Bier und rülpste leicht.
Philip musterte mich. »Irgendwas ist anders. Hast du eine neue Frisur?«
Ich ignorierte die beiden. »Was essen wir jetzt? Ich glaube, wenn wir Anna fragen, bekommt sie einen Nervenzusammenbruch.«
Carl zuckte die Achseln und öffnete eine neue Flasche Bier. Er reichte sie mir. Begriffsstutzig starrte ich darauf.
»Nimm. Die einzige Methode, um den Abend in diesem Irrenhaus zu überstehen«, sagte Carl und lächelte herablassend. Er sah eigentlich nicht wie der typische Trinker aus. Er war gründlich rasiert, hatte die Haare gegelt, trug ein schönes Hemd zu gebügelten Jeans, er roch sauber − vielleicht zu stark nach billigem Aftershave.
Philip hingegen trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck seiner Lieblings-Heavy-Metal-Band, zerrissene Jeans, schmutzige, offene Chucks und hätte selbst einen Friseur dringend
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