Die Partie. Thriller (German Edition)
blicken und die orange leuchtenden Straßenlaternen sehen. Und – Kimski richtet sich ein Stück auf, um besser sehen zu können. Da ist noch etwas. Das Schild eines Ladens, von dem man den hinteren Teil erkennen kann, » und Antiquitäten «, liest Kimski vor.
»Was?«
»Kommen Sie!«
Er läuft los. Sie folgt ihm, ohne zu verstehen, was genau er entdeckt hat oder wohin er will. Aber sie ist froh, dass sie diesmal über den Spielplatz direkt auf die Straße treten und sich nicht erst von der Mauer abseilen müssen.
Kunst und Antiquitäten , nun sieht Kimski das Schild in seiner vollen Länge. Es prangt über einem schmalen Ladenlokal in einem der vielen Altbauhäuser, die in dieser Straße bis in die Moderne stehen geblieben sind. In anderen Teilen der Innenstadt sieht das Bild anders aus. Was der Zweite Weltkrieg nicht zu zerstören geschafft hat, ist dem Erneuerungswahn in den 60er und 70er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts zum Opfer gefallen. Hier ist es anders. Hier hat man das Gefühl, die Zeit wäre 100 Jahre stehen geblieben.
Zumindest jetzt, mitten in der Nacht, wo keine Autos vorbeifahren. Der Laden ist nicht breiter als zwei schmale Schaufenster und die kleine Tür dazwischen, an der ein Schild angebracht ist: Vorübergehend geschlossen. Der Innenraum und die Fenster sind nicht beleuchtet. Dank der Straßenbeleuchtung kann man trotzdem etwas erkennen. Der Laden ist voller Staffeleien, auf denen Gemälde stehen.
Keine moderne Kunst, alles sehr klassisch. An den Wänden hängen ebenfalls diverse Bilder. In den Zwischenräumen stapelt sich antiquarischer Krimskrams. Im linken Schaufenster steht nur eine einzige Staffelei, sonst nichts. Auf dem Gemälde, das darauf ruht, ist eine junge Frau zu sehen. Sie sitzt in einem Raum mit einer weißen Wand. Hinter ihr sind ein Bücherregal und ein großes Fenster abgebildet.
Ihre Kleidung ist voller Rüschen, Perlen und Pailletten; der Teint braun, als stamme sie aus dem äußersten Süden Europas.
Den Arm hat sie auf einen Tisch gelehnt. Auf diesem stehen zwei Krähen in gedecktem Schwarz. Die eine hebt ihren Kopf stolz und hält eine weiße Rose im Schnabel. Die andere beugt sich vor und öffnet mit ihrem Schnabel vorsichtig den Deckel eines Buches. Auf dem Umschlag des Buches kann man, wenn man sich möglichst nahe an das Bild heranstellt und es aufmerksam betrachtet, den Titel erkennen: Das Buch der Zwei Krähen . Erzählung von Carl Theodor.
20
»Sie haben mir nichts davon erzählt, dass Carl Theodor auch Bücher geschrieben hat«, sagt Kimski.
»Davon konnte ich Ihnen nichts erzählen.«
»Wieso nicht?«
»Niemand hat jemals davon gehört, dass Carl Theodor eine Erzählung geschrieben hat.«
Kimski pfeift leise in die Nacht hinein. »Dann haben wir wohl gerade zwei Entdeckungen auf einmal gemacht. Oder es handelt sich um eine Fälschung.«
»Ich weiß nicht, das Bild wirkt auf den ersten Blick authentisch. Wenn das wirklich das Gemälde von Carl Theodors Geliebter ist, warum hätte der Maler – der immerhin persönlich vom Kurfürsten beauftragt war – ein derartiges Detail einfach so erfinden sollen?«
»Interessant.«
»Aber fragen Sie mich nicht, wo sich ein derartiges Buch befinden könnte.«
»Vielleicht kann uns das Gemälde weiterhelfen.«
»Ich fürchte, ein Bild, das circa 240 Jahre alt ist, kann uns wenig Auskunft darüber geben, wo sich ein Buch, das vielleicht nur in einer handschriftlichen Version existiert – falls es überhaupt existiert – heute befindet.«
»Kann sein. Aber irgendetwas will uns die Person, die das komische Gedicht geschrieben hat, doch mit diesem Bild sagen, das uns weiterbringen kann.«
Kimski fährt mit dem Finger vorsichtig über die Scheibe, während er alle Details des Bildes mustert.
»Also hier, da sind doch zwei Krähen. Hielt Carl Theodor sich Krähen? Vielleicht hat er eine Erzählung über seine Haustiere geschrieben.«
»Von einer besonderen Verehrung des Kurfürsten für Krähen habe ich noch nie etwas gehört.«
»Krähen sind die intelligentesten Vögel, wussten Sie das?«
Kimski blickt wieder auf das Bild. Seine Gedanken überschlagen sich. Er muss sie ordnen. Aber wenn selbst Eva, die studierte Historikerin, mit ihrem Latein am Ende ist, was soll er dann noch begreifen können in diesem Verwirrspiel.
»Die weiße Rose«, sagt Kimski, »hat die eine Bedeutung?«
»Weiße Rosen stehen für den Tod.«
»Aha, verstehe, Sie meinen, der Maler wollte ausdrücken, dass die Dame auf
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