Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Das Gesetz von Rachida lautet, dass niemand, der hier weilt, wieder von dannen gehen darf. So wahren wir das Geheimnis und die Reinheit dieses Ortes, die andernfalls von den Übeln der Außenwelt befallen werden könnten.«
Maerad sog den Atem ein. Genau das hatte Cadvan befürchtet. Sie starrte die Herrin an und erkannte in ihr einen unverrückbaren Willen; gewiss, sie war wunderschön wie Alabaster, in dem darin eingeschlossenes Mondlicht schimmert, aber auch so hart und unnachgiebig.
Trotzdem zeigte Cadvan sich ungerührt. »Das dachte ich mir bereits. Und dennoch ersuche ich darum, das Gesetz für Maerad und mich außer Acht zu lassen. Ginge es nur um uns allein, empfänden wir es nicht als Strafe, unser Dasein hier unter Eurem großzügigen und offenherzigen Volk zu verleben. Aber unsere Sorge gilt nicht nur uns selbst. Mit uns reist ein tödliches Verhängnis, das jeden betrifft, der in diesen Zeiten lebt. Wir können hier nicht bleiben. Wenn Ihr uns verbietet zu gehen, müssen wir gegen Euren Willen aufbrechen.«
»Dann würdet ihr sterben«, gab Ardina zu bedenken. Ihre Augen wirkten streng und kalt.
»Dennoch müssten wir den Versuch wagen«, gab Cadvan zurück. »Die Dringlichkeit unserer Aufgabe ließe uns keine andere Wahl. Möchtet Ihr etwa das Gerede aufkommen lassen, Königin Ardina hätte der Finsternis Vorschub geleistet?« Die Königin bedachte Cadvan mit einem stolzen Blick. »Ihr verlangt ein großes Zugeständnis von mir«, sagte sie, »und dies mit Worten, die der Höflichkeit entbehren. Gewährte ich euren Wunsch, setzte ich die Zerstörung all dessen aufs Spiel, was ich liebe. Rachida ist mir kostbar, und ich schätze mein Volk mehr als jedes andere. Warum also sollte ich euch dies zugestehen? Was ist dieses Verhängnis, von dem du sprichst?«
Cadvan zögerte, als müsste er seinen ganzen Mut zusammennehmen. Maerad spürte die Kraft des Willens der Königin deutlich; sie selbst war fast schon bereit, ihre Reise allein auf Ardinas Geheiß hin aufzugeben.
»Königin Ardina, gewiss erinnert Ihr Euch an den Namenlosen, der ganz Imbral und Lirion vernichtet hat«, sagte Cadvan.
Die Königin rührte sich und schien tief in ihr Gedächtnis zu blicken. »Ich erinnere mich an Sharma, bevor er an die Macht gelangte«, erwiderte sie. »Ich hielt ihn immer für einen verschlossenen, merkwürdigen Mann, trotz all seiner Begabung der Gunst der großen Barden von Afinnil unwürdig. Was ich ihnen auch sagte. Und meine Einschätzung erwies sich als richtig. Was glaubt ihr, weshalb ich mich ins Herz des Cilicader zurückgezogen habe? Weshalb, glaubt ihr, habe ich einen solchen Bann errichtet?«
»Ich weiß nicht, ob Ihr von der Weissagung gehört habt, dass sein letzter Sieg nicht der schlimmste war«, gab Cadvan zurück. »Unter den Barden von Annar erzählt man sich seit langem, dass der Namenlose zurückkehren wird, und seine nächste Ankunft wird weit dunkler sein. Sie wird alles zerstören, was schön und frei ist. Die Wälder werden verdorren, und all die noch verbliebenen Zufluchten des Lichts werden in Schatten versinken. Denn glaubt Ihr nicht, dass er aus seiner Niederlage gelernt hat? Und trotz all Eurer großen Macht, Herrin, glaubt Ihr wirklich, dass Ihr hier ein solches Licht bewahren könnt, wenn ganz Annar in Schutt und Asche verwandelt und die Barden völlig vernichtet werden?
Sein letzter Sieg war nicht vollständig. Das Licht hielt sich in Zufluchten, nicht nur hier, sondern auch in anderen, verborgen in den Sieben Königreichen; so konnte seine Herrschaft letztlich gestürzt, seine Macht gebrochen werden. Aber es heißt, wenn er beim nächsten Mal die Oberhand behält, werden seine Bosheit und seine Macht allumfassend sein, bis in eine Zeit jenseits der Vorstellungskraft von Sterblichen. Und ich sage Euch, Königin Ardina, die Dhyllin waren von jeher jene, die er am meisten hasste und am inbrünstigsten zu zerstören suchte. Ich denke, wenn er solche Macht erlangt, wird er Rachida beim nächsten Mal nicht übersehen.«
Er hatte sein Gesuch so überzeugend und eindringlich vorgetragen, dass Ardina die Stirn runzelte und der Schatten des Zweifels über ihr Gesicht fiel.
»Fahr fort«, forderte sie ihn auf und musterte ihn durchdringend.
»Diese Weissagung könnte wahr sein. Aber was weißt du über den Aufstieg des Namenlosen? Du sprichst, als erhöbe er sich jetzt.«
»Ich glaube, dem ist so«, erwiderte Cadvan dumpf. »Denn so wurde es mir gezeigt.« Er holte tief Luft, bevor er
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