Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
einen anderen mit dem Schwert, und der Durchbohrte stand auf, als wäre nichts geschehen. Sie fragten mich, ob ich die Hexersprache beherrsche, aber ich sagte nein und hab es ihnen nie verraten. Damit schienen sie zuerst zufrieden zu sein, aber dann …«
Hem hatte ungehemmt gesprochen, als empfände er es, nachdem er erst begonnen hatte, als Erleichterung, sich alles von der Seele zu reden. Nun jedoch stockte er, und seine Züge fielen in sich zusammen. Plötzlich sah er sehr jung und verletzlich aus.
»Dann?«, bedrängte ihn Cadvan barsch.
»Dann wollten sie, dass ich mit dem Unterricht beginne.«
Eine lange Pause entstand, während der Hem zu Boden starrte. Schließlich fuhr er mit tonloser Stimme fort.
»Sie weckten mich mitten in der Nacht. Es war eine dunkle Nacht, der letzte dunkle Mond vor zwei Wochen. Sie brachten mich nach unten, hinaus auf den Hof. Dort brannte ein Feuer, aber es hatte eine merkwürdige Farbe. Die Flammen waren grünlich und loderten gerade nach oben, flackerten aber nicht. Und einer der Barden hatte einen … einen …«
Abermals stockte er, und Cadvan sagte, diesmal mit freundlicherer Stimme: »Nenn sie nicht Barden, Hem. Sie sind keine Barden. Es sind Untote.«
»Er hatte einen kleinen Jungen. Ich kannte ihn, es war Mark aus dem Waisenheim. Er war jünger als ich, trotzdem hatten wir manchmal zusammen gespielt.« Er schniefte. »Ich mochte ihn.« Wieder setzte er ab. »Er weinte und wand sich in den Armen des Mannes, und er hatte keine Kleider an. Dann gaben sie mir ein schwarzes Messer und wollten, dass ich ihn töte.«
Eine kurze, betretene Stille setzte ein. Schließlich fragte Maerad fast flüsternd: »Und, hast du es getan?«
»Sie haben versucht, mich dazu zu bringen«, antwortete Hem. »Sie sagten, sie würden mich schlagen und ich würde nichts zu essen bekommen und sie würden mich in mein Zimmer sperren. Dann lachten sie über mich; es war schrecklich. Schließlich meinten sie, dass sie mich stattdessen töten würden und setzten mir das Messer an die Kehle. Aber … aber … ich konnte es einfach nicht. Und dann haben sie … nein … nein, ich kann es nicht sagen.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Sie haben ihn getötet. Es war grauenhaft. Danach sagten sie, beim nächsten Mal müsste ich es tun oder selbst sterben.« Mittlerweile weinte Hem. Die Tränen rannen ihm übers Gesicht und gruben kleine Furchen in den Dreck. Maerad und Cadvan warteten. Nach einer Weile hörte er auf, wenngleich noch immer ein vereinzeltes Schluchzen und Schluckauf seine Brust erschütterten.
»Sie sperrten mich in mein Zimmer. An jenem Tag und am nächsten bekam ich nichts zu essen. Und dann, am Tag darauf, waren die Bar…, die Untoten und alle anderen irgendwo unterwegs, und ein Einbrecher machte sich im Haus zu schaffen. Es war Sharn. Er fand mich in meinem Zimmer und nahm mich mit.«
»Was hat er dort gestohlen?«, wollte Cadvan wissen.
»Oh, Geld und einige Dinge, die er verkaufen konnte. Steine.«
»Was für Steine?«
»Wertvolle Steine, die er verkaufen wollte. Er meinte, er würde sie verstecken, bis der Staub sich gelegt hatte, und anschließend nach Süden reisen, um sie auf den Märkten feilzubieten und ein Vermögen zu verdienen. Ich dachte, das wäre gut, und wollte mit ihnen nach Süden fahren, um vielleicht die Orte zu finden, von denen die Vögel mir erzählt hatten. Deshalb waren wir in der Valverras.« Er setzte ab, und abermals zerfurchte Kummer seine Züge. »Sie waren nett zu mir. Sie meinten, ich sei einer der Ihren.«
Cadvan ergriff des Kinn des Jungen, wie er es schon einmal getan hatte. Hem blickte ihm unverwandt in die Augen. Nach einer langen Weile lächelte Cadvan, und Maerad entspannte sich erleichtert. Sie war überzeugt, dass Hem diesmal nicht gelogen hatte. »Warum haben die Untoten dich nicht gefunden, als sie die Pilanel angriffen?«, erkundigte sich Maerad.
Hem schauderte. »Ich habe sie schon von weitem kommen gehört«, erklärte er. »Ich wusste, dass sie auf das Lager zuhielten. Ich habe es Sharn auch gesagt, aber er meinte nur, ich sei töricht und bilde mir etwas ein. Also habe ich mich versteckt. Die Pilanel dachten, ich sei in die Ode davongerannt; und dann kamen die Untoten …« Seine Stimme verlor sich, und seine Züge wurden von düsterer Erinnerung heimgesucht. »Ich habe alles gehört«, flüsterte er. »Sie wollten wissen, wo ich bin. Sharn sagte ihnen, sie hätten mich verkauft, dann meinte er, ich sei weggerannt. Und
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