Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Furcht überwältigt zu werden, gab Darsor zurück.
»Ich mache ihr keinen Vorwurf daraus«, meinte Maerad. »Aber ich frage mich, wie wir sie finden können. Weißt du Rat?«
Darsor richtete sich zu voller Größe auf, spähte über die Höhenzüge und schnupperte die Luft.
In ihrer Angst ist sie weit gelaufen, verkündete er. Sie wird sich schämen. Ich hole sie zurück, wenn du dich inzwischen um meinen Freund kümmerst.
»Mach ich«, antwortete Maerad. »Er ist auch mein Freund.«
Darsor schabte mit dem Huf über den Boden und stupste Cadvan behutsam mit der Nase an, als flüsterte er ihm etwas zu. Dann preschte er los, und Maerad sah, wie schnell er tatsächlich laufen konnte; wie ein schwarzer Pfeil raste er die Straße entlang, und das Klappern seiner Hufe klang wie Donner.
Maerad und Hem saßen neben der Straße und beobachteten, wie die Sonne über den Höhenzügen aufging. Allmählich füllte sich die Welt mit Farben, die ersten Vögel begannen zu zwitschern, und das Grauen verblasste. Cadvan rührte sich nach wie vor nicht. Maerad kramte etwas zu essen hervor, das sie und Hem sich zu Gemüte führten, danach ergriff sie die Wasserflasche und benetzte ihren Mantelsaum, um Cadvans Wunden zu säubern. Mittlerweile sahen sie noch grässlicher aus; sein Gesicht war voller blauer Flecken und zerschnitten. Einer der Hiebe hatte nur knapp ein Auge verfehlt; die Haut darum war aufgeplatzt, aber zumindest bluteten die Verletzungen nicht mehr. Seine anhaltende Bewusstlosigkeit flößte ihr Angst ein. Es musste gut vier Stunden her sein, seit er gestürzt war, und seither hatte er sich weder bewegt noch einen Laut von sich gegeben.
»Warum gibst du ihm nicht etwas Medhyl?«, schlug Hem vor.
Maerad ergriff die Flasche, stützte Cadvans Kopf auf ihrem Schoß, setzte die Flasche an seinen Lippen an und befeuchtete ihm den Mund damit. Das meiste quoll ihm über die Zähne und das Kinn hinab. Dabei schwang das Juwel um ihren Hals nach vorn und berührte sein Gesicht. Ungeduldig schüttelte sie den Kopf, um es aus dem Weg zu schwenken, doch Hem sagte: »Sieh nur, es leuchtet.«
Sie schaute hinab und sah, dass der Edelstein tatsächlich mit einem weißen Feuer schimmerte, das in seiner Tiefe zu lodern schien. Maerad dachte an Silvia, die sanftmütige Heilerin, die ihn ihr geschenkt hatte. Sie wünschte aus ganzem Herzen, die Bardin wäre nun hier.
»Versuch, es an ihm zu reiben oder so«, forderte Hem sie auf. »Es könnte ein Heilstein sein.«
Maerad legte Cadvan den Stein auf die Stirn, dann fuhr sie ihm vorsichtig damit über das Gesicht. Bitte, dachte sie bei sich, bitte wach auf. Sie war nicht sicher, ob es am zunehmenden Licht lag, aber sie vermeinte, eine leichte Röte in Cadvans Zügen zu erkennen. Ermutigt versuchte sie es erneut. Nach einer Weile war sie überzeugt davon, dass es keine Täuschung des Lichts war. Und schließlich zuckten zu ihrer Freude Cadvans Lider, und er schaute zu ihr auf.
»Maerad«, stieß er hervor, ehe er die Augen wieder schloss.
»Cadvan?«, fragte sie mit unsteter Stimme.
Abermals öffnete er die Augen. »Beim Licht, mir brummt der Schädel«, sagte er. »Ich vermute, das bedeutet, dass ich nicht tot bin.« Er ließ die Lider wieder zufallen. »Wo sind wir?«
»Irgendwo in den Hügeln«, antwortete Maerad. »Auf der anderen Seite der Gebrochenen Zähne. Darsor ist los, um nach Imi zu suchen.« Ihr war vor Erleichterung zum Weinen zumute, doch sie hatte das Gefühl, an diesem Morgen bereits genug geweint zu haben, und so rang sie die Tränen zurück. Cadvan schwieg eine Weile und lag mit geschlossenen Augen da. Dann setzte er sich stöhnend auf und stützte den Kopf auf die Hände.
»Willst du etwas Medhyl?«, fragte Maerad und hielt ihm die Flasche hin. Er trank einen ausgiebigen Schluck, der ihm gutzutun schien. Anschließend drehte ersieh zu seinem Bündel um, holte eine kleinere Flasche daraus hervor und nippte daran. »Sumpfziest und andere Kräuter, um die Schmerzen zu lindern«, erklärte er mit einem Blick zu Hem und Maerad. Dann betastete er sein Gesicht. »Wie ich sehe, hast du mich bereits verarztet«, stellte er fest.
»Mir ist eingefallen, dass du die Salbe bei mir verwendet hast«, erwiderte Maerad. »Aber ich wusste nicht, wie ich dich wecken konnte.« Wieder geriet ihre Stimme ins Kippen. »Dann meinte Hem, das hier könnte ein Heilstein sein, also habe ich versucht, ihn an dir zu reiben, und dann bist du aufgewacht…« Sie ließ den Satz unvollendet und
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