Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Augenblick zu weinen anfangen. »Dann werft eben einen Blick in meine Seele, wenn Ihr mir nicht glaubt!« Damit stand er auf und rannte hinaus in den Garten. »Ihr habt ihm Angst eingejagt!«, rief Maerad hitzig und funkelte Nelac wütend an, dann folgte sie Hem hinaus. Er stand unter einem blütenschwangeren Baum und starrte finster auf die Blumenbeete.
»Hem«, rief sie leise zu ihm hinüber. »Was?« Er drehte sich nicht um. Maerad suchte nach den richtigen Worten. »Nelac … Nelac will dir nicht wehtun«, sagte sie schließlich. »Cadvan hat mich einem Seelenblick unterzogen. Es tut nicht weh. Weißt du, tatsächlich habe ich ihn verletzt, als er es bei mir tat!« »Ich lüge nicht«, erwiderte er mit erstickter Stimme. »Bei dir ist das etwas anderes, es sagtja niemand, dass man dir nicht glaubt.«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Maerad und dachte an den Rat in Inneil zurück. »Aber wie auch immer, er macht es ja nicht sofort. Komm wieder rein.« Mürrisch und mit zu Boden gerichtetem Blick drehte Hem sich um. Maerad wollte seine Hand ergreifen; er schüttelte sie ab, aber er folgte ihr zurück hinein ins Zimmer. Cadvan, Saliman und Nelac saßen schweigend da.
»Hem, es tut mir leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe«, entschuldigte Nelac sich aufrichtig. »Und es tut mir auch leid, dass ich an dir zu zweifeln scheine. Aber worüber wir hier reden, ist so bedeutsam, dass wir dessen, was wir glauben, uneingeschränkt sicher sein müssen.«
Hem nickte und schluckte schwer.
»Allerdings kann ich dir versprechen, dass ein Seelenblick dir nicht wehtun wird«, fuhr Nelac fort. »Und als Entschädigung lasse ich danach ein besonderes Festmahl nur für dich auftragen.«
Abermals nickte Hem und blickte etwas weniger verdrossen drein.
»Ich habe keine Angst davor«, erklärte er voll trotzigem Mut. »Wollt Ihr es gleich machen?«, fragte er nach einer Pause. »Mein Kopf ist bereit.«
Saliman grinste und gab ihm einen verspielten Klaps hinter die Ohren. »Was würdest du nicht alles für etwas zu essen tun, was, du kleiner Gauner?«, fragte er. »Aber wir sind hier noch nicht fertig.«
»Später ist noch früh genug«, pflichtete Nelac ihm bei und verbarg ein Lächeln. »Und danach müssen wir natürlich entscheiden, was wir mit dir machen.«
»Mit mir machen ? « Schlagartig kehrte der Argwohn in Hems Züge zurück. »Du musst in eine Schule gehen.« »Oh.«
»Aber leider glaube ich nicht, dass Norloch dich aufnehmen wird.« »Nein, wahrscheinlich nicht«, pflichtete Cadvan ihm bei. »Ich hatte vergessen, dass …« »Was vergessen?« Jäh schaute Maerad auf.
»Irgendwie scheinen Pilanel hier keine Plätze zu bekommen«, erklärte Cadvan mit einem Anflug von Verachtung in der Stimme. »Eigentlich sollte eine Schule jeden aufnehmen, der über die Gabe verfügt, aber hier beharrt man auf dem Standpunkt, dass in Norloch, dem Mittelpunkt des Lichts, nur jemand von angemessener Geburt die Ehre haben sollte, hier unterrichtet zu werden.«
»Aber Hem stammt aus dem Haus Kam!«, rief Maerad aus. »Du hast gesagt, das sei eine der edelsten Familien überhaupt!«
»Ja«, bestätigte Cadvan. »Aber selbst wenn wir dessen völlig sicher sind, dürfte es schwierig werden, andere von Hems Behauptung zu überzeugen. Vor allem hier. Außerdem glaube ich, dass Hem selbst in einer anderen Schule glücklicher wäre.« »Wie wäre es mit Turbansk?«, schlug Saliman vor.
»Türbansk?« Unvermittelt hellten sich Hems Züge auf. »Könnte ich wirklich dorthin gehen?«
»Wenn du möchtest«, gab Saliman zurück. »Ich könnte dich mitnehmen. Ich muss hier ohnehin bald weg.«
Maerad verspürte einen jähen Stich im Herzen. Würde sie ihren Bruder so bald wieder verlieren? Hem schien soeben dasselbe gedacht zu haben. »Würde Maerad auch mitkommen?«, fragte er.
»Vielleicht«, meinte Cadvan. »Und falls nicht, könnte sie dich auf jeden Fall besuchen kommen.« Hem wirkte ein wenig beruhigt.
»Uber Hems Zukunft können wir uns in den kommenden Tagen Gedanken machen«, sagte Nelac. »Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Jemand mit Hems … äh… ungewöhnlichen Hintergrund muss mit Bedacht untergebracht werden. Ich finde ebenfalls, dass Norloch nicht der geeignete Ort für ihn ist. Aber wie die Zeit verfliegt! Die Sonne steht bereits tief im Westen. Ich muss erst alles verarbeiten, was heute besprochen wurde. Jedenfalls scheint klar zu sein, dass wir alle Maerad für die Ausersehene halten.«
Cadvan nickte.
»Das
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